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Women

Das Gefühl des Hochstapelns

19.10.2022
von Vanessa Bulliard
Nicole Kopp Beraterin GoBeyond Mitglied Schweizerische Gesellschaft für Arbeits- und Organi- sationspsychologie

Nicole Kopp
Beraterin GoBeyond
Mitglied Schweizerische
Gesellschaft für
Arbeits- und Organi-
sationspsychologie

Fast die Hälfte der Menschen leidet regelmässig unter dem Gefühl, ein:e Hochstapler:in zu sein.«Fokus» erklärt, was das Hochstapler-Syndrom ist und wie man es bekämpft.

Gemäss Wörterbuch ist ein:e Hochstapler:in eine Person, die in betrügerischer Absicht den Eindruck erwecken möchte, eine höhere gesellschaftliche Stellung inne zu haben. Verwandte Wörter sind Betrüger:in, Prahler:in und Angeber:in. Beim Impostor-Syndrom fühlen sich Betroffene als ein:e Hochstapler:in, wie es im Buche steht – mit dem Unterschied, dass sie es nicht sind.

Das Gefühl ist vergleichbar mit folgendem Beispiel: Man fährt mit dem Auto zur Arbeit und kommt an einem Polizeifahrzeug vorbei. Automatisch wird man nervös und hat das Gefühl, die Polizeibeamt:innen könnten jederzeit das Fahrzeug anhalten, obwohl man alles richtig macht. Genauso verhält es sich beim Impostor-Syndrom. Ständig wird man vom Gefühl verfolgt, dass andere herausfinden könnten, dass man nicht so fähig sei, wie andere denken.

Ursprung

Erstmals tauchte der Begriff «Impostor-Syndrom» im Jahr 1978 auf. Dr. Pauline R. Clance und Dr. Suzanne A. Imes publizierten ein Buch zu diesem Thema: «The Impostor Phenomenon in High-Achieving Women: Dynamics and Therapeutic Intervention». Bereits damals stellten Expert:innen fest, dass Frauen mit einer erfolgreichen beruflichen Karriere das Gefühl beschlich, ihre Leistungen seien überbewertet. 

Wer ist betroffen? 

Aktuellen Studien zufolge kämpfen heutzutage etwa 40 Prozent aller Menschen regelmässig gegen das Impostor-Syndrom an. Diverse Studien zeigen zudem, dass Männer und Frauen etwa gleich häufig darunter leiden. «In den letzten Jahren haben sich vermehrt berühmte Frauen wie Charlize Theron, Sheryl Sandberg und sogar Michelle Obama darüber geäussert, sich wie Hochstaplerinnen zu fühlen. Das Syndrom betrifft überproportional oft leistungsstarke Menschen», erklärt Nicole Kopp, Beraterin bei GoBeyond und Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie.

Das Hochstapler-Syndrom

Die besondere Form von Minderwertigkeitskomplex zeichnet sich durch massive Zweifel an den eigenen Fähigkeiten oder Erfolgen aus. «Betroffene sehen ihre Leistungen eher als Ergebnis von Glück, Zufall oder Betrug und haben deshalb Angst, aufzufliegen oder als Betrüger:in entlarvt zu werden», führt Kopp aus. Viele fühlen sich als Hochstapler:in und denken, den Job nicht verdient zu haben. Man strebt nach perfekter Leistung, welche in den eigenen Augen jedoch nie erreicht wird, egal wie gross die Bemühungen sind. 

Ursachen

Ob das Hochstapler-Syndrom auftritt, hängt von Persönlichkeits- und Umweltfaktoren ab. «Bestimmte Persönlichkeitstendenzen wie hoher Perfektionismus, geringer Selbstwert und eine externale Kontrollüberzeugung begünstigen das Entstehen des Syndroms. Ein zweiter Faktor, der hineinspielt, ist die Umwelt. So können ein sehr leistungsorientiertes Familienumfeld oder ein sehr kompetitives Arbeitsumfeld das Auftreten begünstigen», betont Kopp.

Auswirkungen

«Das Impostor-Syndrom führt einerseits zu Gedankenkreisen, andererseits können Selbstzweifel zu vermindertem Selbstbewusstsein führen, was zu noch mehr Anstrengung führt, weil man Angst hat, aufzufliegen. Es ist ein Teufelskreis», meint Kopp. Es könne auch zu einer Leistungsangst kommen und viele Betroffene würden sich dauernd unter Stress fühlen.

Es ist ein zweischneidiges Schwert: Menschen mit dem Hochstapler-Syndrom leisten zum einen oft sehr gute Arbeit. Zum anderen bezahlen sie dafür einen hohen Preis: Die enormen Ansprüche an sich selbst, das Überspielen der Unsicherheiten und der stark empfundene Leistungsdruck können schädlich für Psyche und Gesundheit sein. Die Beraterin bei GoBeyond zeigt weitere Auswirkungen auf: «Nicht selten überschreiten Betroffene ihre Grenzen, was sich negativ auf die Work-Life-Balance niederschlägt. Dies kann zu Krankheiten wie Burn-out oder Depression führen.» Das Impostor-Syndrom kann zudem der Karriere schaden, wenn Betroffene aus Angst vor Misserfolg bereits von Anfang an Aufgaben oder Positionen vermeiden oder ablehnen.

Im Arbeitsumfeld

Kopp erklärt, welche Rolle den Vorgesetzten der Betroffenen zukommt: «Führungskräfte sollten Äusserungen von Mitarbeiter:innen, die auf das Impostor-Syndrom hinweisen, ernst nehmen. Betroffene profitieren von regelmässigen, konkreten Feedbacks zu Aufgaben und Leistungen.» Wie die Beraterin ebenfalls betont, sollten Führungskräfte darauf achten, ob es Mitarbeiter:innen gelingt, Komplimente anzunehmen, oder ob sie diese jeweils ablehnen. Falls Letzteres der Fall ist, könnte ein Coaching hilfreich sein.

Das Erfolgsrezept

Einige Tipps können dem Gefühl als Hochstapler:in Abhilfe verschaffen. Betroffenen fällt es besonders schwer, eigene Leistungen und Anerkennung dafür zu akzeptieren. Kopp schlägt vor: «Hier hilft ein Erfolgstagebuch, in dem täglich die eigenen Leistungen und erhaltenen Komplimente notiert werden.» Dies helfe, ein realistisches Bild der eigenen Leistung zu erhalten. 

«Ebenfalls nützlich sind Mentor:innen, welche dabei helfen, die eigenen beruflichen Kompetenzen besser einzuordnen. Hilfreich sind auch tiefe Gespräche mit Freund:innen oder Bekannten, bei denen eigene Gefühle und Unsicherheiten besprochen werden», führt Kopp weiter aus. Oftmals hilft die Erkenntnis, dass andere mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Wenn der Leidensdruck hoch sei, könne eine kognitive Verhaltenstherapie helfen, an dysfunktionalen Gedanken und Verhaltensweisen zu arbeiten, wie die Beraterin erklärt. Kopp fügt abschliessend an: «Menschen, die am Hochstapler-Syndrom leiden, werden nie wirklich Hochstapler:innen sein. Das liegt in der Natur des Phänomens.»

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