Eine Stadt in eine Smart City zu wandeln, ist ein komplexes Grossprojekt. Dabei geht es nicht nur darum, das Leben der Menschen angenehmer zu gestalten, sondern es sollen Lösungen für drängende Herausforderungen implementiert werden. Weshalb die beiden Ziele eigentlich eines sind und wie der Prozess in der Schweiz vonstattengeht, erklärt Prof. Vicente Carabias, Koordinator der ZHAW-Plattform Smart Cities & Regions und Leiter Smart City der Stadt Winterthur, im Interview.
Herr Vicente Carabias, auf welche Herausforderungen liefern Smart Citys eine Antwort?
Städte, Gemeinden und Regionen bereiten sich vermehrt auf die Herausforderungen der Zukunft vor. Aktuelle Trends und Entwicklungen wie die Urbanisierung mit ihrem wachsenden Ressourcenverbrauch, die postulierte Energiewende und damit verbundene Veränderungen in der Mobilität sowie Forderungen nach mehr Klimaschutz erfordern neue Lösungen.
Dabei bietet die zunehmende Digitalisierung neuartige Möglichkeiten, unter anderem für Bürgerinnen und Bürger, die an Planungs- und Entwicklungsprozessen für ihren Lebensraum beteiligt werden wollen.
Inwiefern unterscheiden sich die Visionen einer Smart City?
Städte, die sich einer nachhaltigen Stadtentwicklung verpflichtet fühlen, berücksichtigen bei ihrem Handeln technische, gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Aspekte gleichermassen. Diese Ausgangslage kann für die Städte eine gute Voraussetzung bilden, um den Transformationsprozess hin zu einer Smart Sustainable City zu beginnen und langfristig erfolgreich mit sozialen und technologischen Innovationen zu gestalten.
Heutige Smart-City-Pilotprojekte fokussieren denn auch auf die Integration verschiedener Technologien und Bereiche, die Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien und Fragen der Integration und Beteiligung der Bevölkerung.
Weshalb ist es wichtig, eine Vision zusammenzustellen?
Die Bedürfnisse verschiedener Anspruchsgruppen in einer Stadt sind vielfältig. Um diese zu erfüllen, sollten Städte auf Basis von Szenarien neue Leitbilder, Strategien und Massnahmenpläne entwickeln.
Bei vielen Smart-City-Themen arbeiten Behörden, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen.
Innovationsführer wie Wien, Amsterdam oder Santander setzen diese systematisch und strategisch um und leiten damit – angetrieben vom Digitalisierungstrend – einen langfristigen Transformationsprozess hin zu einer Smart City ein.
Welche Parteien sollten bei einer Visionierung beteiligt sein?
Smart City wird international als Zukunftskonzept für fortschrittliche Städte verstanden. Gemäss Smart City Schweiz werden Städte dann als smart bezeichnet, wenn sie «auf die Vernetzung der verschiedenen Themenfelder setzen und unterschiedliche Akteure zusammenbringen».
Es geht darum, die Handlungsbereiche Infrastruktur – Energie, Gebäude, Mobilität und ICT – untereinander so zu verknüpfen, dass insgesamt ein tieferer Energie- und Ressourcenverbrauch und eine höhere Lebensqualität resultiert.
Smart-City-Projekte werden überwiegend innerhalb der Verwaltung, von den Energieversorgern oder der Politik angestossen und orientieren sich vor allem an Städten im In- und Ausland wie Winterthur oder Wien sowie an Zertifizierungen wie dem Energiestadt-Label. Zwei Drittel der befragten Schweizer Städte bestätigen, sich bei der Definition von Entwicklungs- oder Strategiezielen an anderen Gemeinden zu orientieren.
Bei vielen Smart-City-Themen arbeiten Behörden, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Weitere Unterstützung wünschen sich die Städte vor allem vom Bund und den Kantonen. Als Inspirationsquelle legt der interaktive «Swiss Smart City Survey» die Factsheets derjenigen Städte offen, die dies erlauben.
Oftmals liegt der Hauptfokus auf der Mobilität. Weshalb?
Smart Mobility zählt mit vielen aufgeführten Projekten zu den zukünftig mehrbeachteten Bereichen. Durch die offene Aufzählung wurde klar, dass viele Städte an einer neuen Mobilitätsstrategie arbeiten, wobei Nachhaltigkeit durch effizientere Mobilitätssysteme gefördert werden soll.Viele Projekte sprechen von intermodalem Verkehr, also von der Kombination verschiedener Verkehrsmittel, um von A nach B zu gelangen – je nach Präferenzen und Auswirkungen der einzelnen Optionen.
Auf der einen Seite bedeutet dies, existierende Infrastrukturen des öffentlichen Verkehrs zu erweitern, wie beispielsweise Echtzeitanzeigen oder Verlängerungen von Buslinien, Ausbau von Fahrradwegen und Integration von Bikesharing-Systemen.Dann geht es auch um die Förderung der gesunden, nachhaltigen Mobilität, Mobility Sharing sowie die Elektrifizierung der Fahrzeugantriebe, um die Dekarbonisierung der Mobilität voranzubringen.
Welche Städte kann man bereits als (Proto-)Smart Citys bezeichnen?
Die Stadt Winterthur bietet eine sehr hohe Lebensqualität und ist historisch geprägt von Innovation, Unternehmertum und als Kulturstadt. Die genannten Trends, wie zum Beispiel die Digitalisierung, die Veränderung der Städte durch Urbanisierung, der Klimawandel und der Umbau der Infrastruktursysteme im Energie- und Mobilitätsbereich bringen neue Herausforderungen mit sich. Die Smart City Winterthur will diese im Sinne eines ganzheitlichen Entwicklungsansatzes ressortübergreifend vernetzt mit Partnern und mit Unterstützung von digitalen Technologien angehen.
Mit WinLab möchte sich die Stadt Winterthur im Rahmen von Smart City Winterthur als sogenanntes Living Lab, also als Reallabor respektive Teststadt positionieren, in welcher soziale und technologische Innovationen zugunsten einer nachhaltigen Stadtentwicklung erprobt, systematisch getestet und im Erfolgsfall skaliert werden können. Partner aus Forschung und Entwicklung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind zur aktiven Teilnahme eingeladen.
Wie weit ist die Entwicklung von Smart Citys global und schweizweit vorangeschritten?
Im Vergleich zu den europäischen Smart-City-Vorreitern sind Städte in der Schweiz noch eher am Anfang ihrer Entwicklung hin zu einer Smart City. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass grosse Städte für Investierende attraktiver sind.
Doch auch in der Schweiz erweitern Städte ihr Netzwerk und tauschen sich untereinander aus, wie zum Beispiel im Smart City Hub Schweiz zusammen mit den bundesnahen Unternehmen oder in der Smart City Alliance mit Hochschulen und Technologie-sowie Dienstleistungsanbietern, um Letzteren als Testumgebungen zu dienen vor einem flächendeckenden Roll-out erfolgversprechender Umsetzungen sozialer und technologischer Innovationen.
Diese Vernetzung soll den Skalierungsunterschied zu den Megacitys wettmachen. Nur für erfolgreiche Projekte sollte eine Skalierung ins Auge gefasst werden. Pilotprojekte erlauben es der Verwaltung und Unternehmen, neue Anwendungsfelder zu identifizieren und darauf aufbauend marktfähige Dienstleistungen zu entwickeln. Mit dem NTN Innovation Booster Swiss Smart Cities und den Förderprogrammen von EnergieSchweiz für Gemeinden können smarte Projektideen unterstützt werden.
Eine vernetzte Stadt muss auch Daten sammeln. Wie werden diese verwendet und gibt es Bedenken bezüglich Missbrauch?
In der Innovations- und Transitionsforschung geht man davon aus, dass die Digitalisierung die heutigen etablierten Stadtsysteme radikal verändern wird. Daher geht es bei Smart City nicht nur um die Umsetzung von einzelnen Projekten oder den Aufbau einer Innovationscommunity, sondern um das Management eines Transformationsprozesses hin zu neuen Stadtsystemen.
In diesen neuen Stadtsystemen werden Technologien, Infrastrukturen, Organisationsstrukturen, Regulierung und das Verhalten der Menschen systemisch zusammenspielen. Deren Koevolution ist noch nicht ausreichend erforscht. Dabei sind vor allem Maturitätsmodelle und entsprechende Aufgaben für das Transitionsmanagement von grossem Interesse.
Das Konzept «e-Governance» wird beispielsweise von mehreren Städten eingesetzt und viele Städte engagieren sich bei der Bereitstellung von digitalen Dienstleistungen. Die Bereitstellung digitaler Dienste kann durch mehrere Angebote geschaffen werden, wie Onlineschalter, Stadtmelder, Chatbots, eBau für digitale Baubewilligungen oder eUmzug, um Umzugsmeldungen schalterfrei durchzuführen.
Zum Thema «Open Governance» gibt es Initiativen, die Open-Data-Plattformen schaffen sowie verschiedene Partizipationsmöglichkeiten, die eine Schnittstelle zum Bereich Smart People bieten.Bei all diesen Angeboten ist es zur Gewährleistung der Akzeptanz zentral, dass der Datenschutz und die Cybersicherheit jederzeit eingehalten werden und die Daten keine Rückschlüsse auf einzelne Personen erlauben.
Interview Kevin Meier
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