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Mobilität

Tokio – so reibungslos verkehrt man im grössten Ballungsraum der Erde

30.08.2021
von SMA

In der weltgrössten Metropolitanregion leben, arbeiten und bewegen sich rund 38 Millionen Menschen. Angesichts einer Stadtbevölkerung, die mehr als achtmal so gross ist wie die Anzahl Einwohner:innen der Schweiz, müsste Tokio-Yokohama eigentlich kollabieren. Warum tut es das nicht?

Zu Beginn dieses Monats gingen die Olympischen Sommerspiele in der japanischen Hauptstadt zu Ende. Leider führte die Coronapandemie dazu, dass an den Spielen keine Zuschauer:innen erlaubt waren. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedauerlich. Auch deshalb, weil dadurch viele ausländische Tourist:innen von einem Besuch im grössten urbanen Ballungsraum der Welt absahen – und dementsprechend das Verkehrssystem der Stadt nicht erleben konnten. Denn nichts anderes ist der öffentliche Verkehr in Tokio: ein Erlebnis. Vor allem liefert er den Beweis dafür, dass eine vorausschauende und innovative Stadtplanung eine nachhaltige Mobilität fördert. Denn während andere Weltmetropolen am selbsterzeugten Verkehr förmlich zu ersticken drohen, greifen in Tokio und Yokohama die einzelnen Mobilitätszahnräder fast reibungslos ineinander.

Die Tokioter U-Bahn ist das meistgenutzte Verkehrsmittel der Stadt – und mit jährlich über drei Milliarden transportierten Gästen stellt sie das meistgenutzte U-Bahn-Netz der Welt dar. Faszinierend ist dabei die Tatsache, dass trotz dieses hohen Passagieraufkommens die Pünktlichkeit auf den 13 U-Bahnlinien Tokios enorm hoch ist. Die Pünktlichkeit des Netzes führt sogar dazu, dass die Aussage «mein Zug kam verspätet» wenig Glaubwürdigkeit geniesst. Darum kann man auf der offiziellen Website des Tokioter U-Bahnbetreibers (tokyometro.jp) für Verspätungen ein sogenanntes «Delay-Certifitcate» ausdrucken, um dieses zum Beispiel dem Arbeitgeber vorzulegen. Ein zufälliger Blick auf die «Tozai-Linie» zeigt, dass es zuletzt am Freitag, dem 13. August, zu einer Verspätung von 15 Minuten gekommen war. 

Eine Frage der Disziplin

Wie wird diese Pünktlichkeit erreicht? Nebst erstklassiger Infrastruktur liegt die Antwort auf diese Frage in der Mentalität der Einwohnerinnen und Einwohner: Das Ein- und Aussteigen an den Haltestellen verläuft hoch diszipliniert. Die ankommenden Pendlerinnen und Pendler bilden Einer-Reihen entlang der am Boden angebrachten Türen-Markierungen. Für die aussteigenden Menschen wird so eine Gasse gebildet, durch die sie den Zug rasch verlassen können. Erst dann beginnt das Einsteigen. Drängeleien sind dabei (fast) nie zu beobachten. 

Allerdings hat auch die Tokioter U-Bahn ihre Schattenseiten: Denn trotz hoher Pünktlichkeit sind die Wagen zu Stosszeiten im wahrsten Sinne des Wortes erdrückend voll. Bilder von Zugbegleiter:innen, die mit aller Kraft die Pendelnden in die Wagons quetschen, sind weltbekannt. Diese räumliche Enge führte leider zudem immer wieder zu sexuellen Belästigungen weiblicher Passagiere, worauf die Betreiber mit Waggons «nur für Frauen» reagiert haben. 

Auf zwei statt vier Rädern

Die U-Bahn Tokios spielt eine wesentliche Rolle, dass die Mobilität in der gewaltigen Metropole fliessen kann. Wären alle diese Menschen mit dem Auto unterwegs, wäre ein Kollaps unvermeidbar. 

In einem Artikel der «Welt» wurde festgehalten, dass 60 Prozent der motorisierten Fahrzeuge, die sich heute noch über die Strassen der Stadt bewegen, keine Personen, sondern Güter transportieren. Autos erreichen auf Tokios Strassen im Schnitt ein Tempo von 18 Kilometer pro Stunde.  Damit liegt die japanische Hauptstadt gleichauf mit Berlin – doch im Vergleich mit der ähnlich grossen Metropole Mexiko City sind die Autos in Tokio rund viermal schneller unterwegs.

Die Mega-City Tokio weist noch eine andere Besonderheit auf, die für Städte dieser Grösse eher ungewöhnlich ist: Sie ist voller Fahrräder. Der «Copenhagen Index», der 140 Grossstädte auf der ganzen Welt auf ihre Fahrradfreundlichkeit hin vergleicht, hatte 2019 Folgendes zur japanischen Hauptstadt zu sagen: Tokio ist seit vielen Jahren eine Stadt der Radfahrer – allerdings nicht wegen der Infrastruktur oder des offiziellen Planungsnarrativs, sondern wegen seiner Menschen. In der grössten Metropole der Welt sind Millionen und Abermillionen von Menschen auf ihren Fahrrädern unterwegs, die mit ihren «Mamachari-Nutzfahrrädern» Waren und Kinder transportieren und die Räder dazu nutzen, um zum Laden, zur Schule oder zum Bahnhof zu gelangen. Und obschon Tokio im Ranking einen Rückschlag hinnehmen musste (2018 lag die Metropole auf Platz neun, 2019 nur noch auf Platz 16) gehöre die Stadt damit nach wie vor zu den besten Fahrrad-Metropolen der Welt. Um künftig im internationalen Vergleich nicht noch tiefer abzusacken, seien nun aber Investitionen in eine dezidierte Fahrrad-Infrastruktur notwendig. Denn obwohl das Fahrrad in Tokio von Jung, Alt, Männern und Frauen unterschiedlichster Herkunft genutzt wird, ist es für längere Fahrten durch die Stadt bisher nicht zum Transportmittel der Wahl geworden – da es an verkehrssicheren Fahrradkorridoren noch immer mangelt.

Wenig Barrieren – doch es gibt sie

Diese Tage finden in Tokio die Paralympics statt. In der deutschen «Tagesschau» kam darum Yuriko Oda zu Wort. Die heute 40-Jährige sitzt seit ihrem 26. Lebensjahr im Rollstuhl. Oda hat die Olympia-Organisatoren hinsichtlich der Barrierefreiheit beraten. Ihr Verdikt zu Tokio fällt zwar positiv aus, doch vollkommen reibungslos oder barrierefrei sei die Mobilität noch nicht: Zwar verfügen die meisten Bahnhöfe in der Paralympics-Stadt über Aufzüge. Doch diese zu erreichen, sei nicht immer ganz unkompliziert: Die Wege führten über schmale und zu Stosszeiten überfüllte Bahnsteige und mitunter müssten Rollstuhlfahrer mehrere Hundert Meter zurücklegen. Das beweist: Auch in einer Stadt mit einem der besten Verkehrssysteme der Welt, gibt es immer noch Verbesserungspotenzial. 

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