Romy Tschopp kam mit einem offenen Rücken (Spina bifida) zur Welt. Trotz der inkompletten Querschnittslähmung war Sport schon immer ihre Leidenschaft und sie hat sich bis in das Swiss Para-Snowboard-Team hochgekämpft. Im Interview erzählt sie von Hochs und Tiefs, ihre Zukunft und die wichtigste Jahreszeit in ihrem Leben.
Romy Tschopp, wenn du dich mit drei Adjektiven beschreiben müsstest, welche würdest du wählen?
Das ist gar keine einfache Frage. Ich denke aber, dass ich sehr reflektierend, optimistisch und auch beharrlich bin.
Wie hat sich deine Leidenschaft fürs Snowboarden entwickelt?
Das begann schon früh. Ich habe eine sehr sportliche Familie, meine Eltern haben mir und meinen drei Geschwistern schon früh das Skifahren und Snowboarden beigebracht. Bereits damals habe ich es geliebt, mich in der Natur zu bewegen und aktiv zu sein. So ist die Leidenschaft entstanden.
Im Verlauf des späteren Lebens hat sich meine gesundheitliche Situation allerdings stark verändert. Früher konnte ich noch herumrennen und -springen. Nach einigen Rücken- und Bauchoperationen war das nicht mehr möglich. Beim Snowboarden haben wir immer Lösungen gefunden – beispielsweise durch Materialanpassungen und andere Hilfestellungen –, sodass ich trotzdem den Sport weiterverfolgen kann. Deshalb konnte Snowboarding stets das abdecken, was ich liebe.
Was gefällt dir am besten an dieser Sportart?
Es ist ein sehr spannender Sport, weil er so viele Aspekte vereint: Geschwindigkeit, Körperkontrolle und Gleichgewicht. Gerade in einem Rennen ist auch die Strategie ein wichtiger Teil. All dies kombiniert mit den Bergen finde ich unschlagbar (lacht).
Kannst du beschreiben, wie es sich für dich anfühlt, die Piste hinunterzufahren?
Es gibt mir dieses Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit zurück, das ich im Alltag mit dem Rollstuhl und der Orthese nicht mehr zum selben Ausmass erlebe. Auf dem Brett fühle ich mich richtig frei und unabhängig. Ein sehr schönes Gefühl.
Beim Snowboard-Weltcup im italienischen Colere hast du dich mit einer starken Leistung auf den sechsten Platz der Weltrangliste vorgearbeitet. Welche Gefühle verbindest du mit diesem Moment?
Colere war mein erster Wettkampf und eine überaus interessante Erfahrung. Ich durfte mit dem Plusport-Team teilnehmen und wir kannten uns noch nicht in solch einer speziellen Situation: Wer reagiert wie unter dem Druck? Darüber hinaus gab es noch Fragen, wie das Material am besten einzustellen ist. Alles war neu. Ich wusste auch nicht, ob ich überhaupt für den Wettkampf gemacht bin. Schnell habe ich aber Blut geleckt, als es in mir zu brodeln begann. Die Ergebnisse zeigten, dass ich eben doch mithalten kann. Das war ein sehr schönes Erlebnis, auch für uns als Team, und ein wichtiger Grundstein dafür, was danach kam und das, was noch kommen wird.
Dieses Jahr hast du an den Weltmeisterschaften in Lillehammer die Bronzemedaille gewonnen. Was hast du aus dieser Erfahrung gelernt?
Auf jeden Fall habe ich sehr viel gelernt. Die Bronzemedaille hat mir gar nicht so viel bedeutet. Diese haben wir in einer Teamchallenge in einem kleinen Feld geholt. Für mich war entscheidender, was ich im Einzel erreichen konnte. Im Snowboardcross bin ich mit der zweitschnellsten Zeit ins Finale gezogen. In meiner Klasse mit sehr starken Konkurrentinnen war es eine wichtige Erkenntnis, dass ich ganz vorne mit dabei sein kann, wenn alles gut läuft. Während des Rennens habe ich aber einen blöden Strategiefehler gemacht und meinen sicheren dritten Platz aufgegeben. Erfolg und Niederlage lagen nahe beieinander. So konnte ich aus diesen Weltmeisterschaften viel mitnehmen.
Du warst die erste Schweizer Snowboarderin, die an den Paralympischen Spielen teilnahm. Was denkst du über diesen Meilenstein?
Es ist eine grosse Ehre und ein Privileg, dass ich Teil dieses historischen Moments sein durfte. Ich war beeindruckt und vor allem sehr berührt, als ich die definitive Zusage erhielt. Auch persönlich war das für mich ein Meilenstein.
Was hat dich bei den Spielen in Peking 2022 und deiner Leistung beeindruckt?
Schon der riesige Anlass an sich war imponierend. Zudem war ich beeindruckt von meinem Körper. Die Spiele dauern nur wenige Tage, in die man viel Leistung investieren muss, bei kurzen Ruhephasen.
Gerade vom Snowboardcross auf den Banked-Slalom war die Regenerationszeit ohnehin sehr knapp bemessen und das Rennen wurde noch vorverschoben. Trotzdem hat mein Körper die Anstrengung aushalten können. Hinzu kommt die emotionale Seite; es war eine Achterbahn der Gefühle. Ich hatte mir höhere Ziele gesetzt, als ich schlussendlich zeigen konnte.
Ich war beeindruckt von meinem Körper. Romy Tschopp
Zum Beispiel bekam ich im Snowboardcross Gleichgewichtsprobleme und bin während des Rennens umgefallen. Dadurch hatte ich einen Rückstand von über sieben Sekunden. Dennoch konnte ich mental umschalten und danach einen annähernd perfekten Lauf hinlegen. Den Rückstand konnte ich so auf 0,8 Sekunden verringern. Obwohl es nicht fürs Halbfinale reichte, war es eine Wahnsinnsleistung.
Weil mein Körper danach wirklich erschöpft war, resultierte der Banked-Slalom in einem Kampf zwischen ihm und meinem Kopf. Die Ergebnisse waren dann auch nicht begeisternd. Trotzdem war ich beeindruckt davon, dass er dies bis zum Schluss durchziehen konnte.
Was erwartet dich in nächster Zeit?
Im Oktober ging es los mit dem Training in Österreich. Endlich konnte ich wieder auf dem Schnee stehen (lacht). Ende November sind wir für den ersten Wettkampf im holländischen Landgraaf in einem riesigen Kühlschrank (lacht). Im Dezember werde ich viel Zeit in der Lenk verbringen. In Bezug auf Wettkämpfe freue ich mich auf das finnische Pyhä im Januar. Danach wird es direkt weitergehen mit der WM in Espot, Spanien und im Februar in Grasgehren in Deutschland. Wettkämpfe und Trainingseinheiten werden sich abwechseln.
Hegst du weitere Träume oder Projekte für die Zukunft?
Auf jeden Fall. Die Lenk Bergbahnen sind mit ihrer permanenten Crossstrecke offizieller Trainingsstützpunkt für unser Para-Snowboard-Team und neu ein wichtiger Partner von mir. Ich werde also häufig auf der neuen Strecke im sympathischen Skigebiet am Betelberg trainieren und noch mehr herausholen.
Neben dem Sport möchte ich auch an meinen Rednertätigkeiten anknüpfen und diese ausbauen. Ich bin gerne als Speakerin unterwegs. Die Aufklärungsarbeit und mit meiner offenen Art etwas weitergeben zu dürfen, finde ich spannend.
Snowboard mal beiseite – welche drei typischen Winterdinge dürfen für dich nicht fehlen?
Ganz vieles (lacht). Ich mag die spezielle Stimmung am Tag in den Bergen oder auch auf Nachtspaziergängen. Das sauge ich gerne in mich auf. Ich finde auch die Lichter und Lichterketten in der aufkommenden Weihnachtsatmosphäre unglaublich schön. Zudem darf mein Wärmekissen nicht fehlen.
Was bedeutet dir der Winter allgemein?
Der Herbst ist eine happige Zeit, wenn es Richtung Winter geht. In dieser Phase habe ich viele Nervenschmerzen, die sich mit der Kälte intensivieren. Wenn es richtig Winter ist, bin ich wieder unterwegs und treibe viel Sport, was die Schmerzen etwas im Zaum halten kann. Winter bedeutet für mich, auf Reisen zu sein, neue Erfahrungen zu sammeln und Erlebnisse zu schaffen. Der Winter ist eine ganz wichtige Jahreszeit für mich (lacht).
Ist er sogar deine Lieblingsjahreszeit?
Weil ich auf den Snowboardsport gesetzt habe, ist der Winter entscheidend für mich. Aber ich mag den Frühling genauso sehr, wenn wieder alles zu blühen beginnt und es wärmer wird. Im Sommer bin ich oft auf dem Bike. Wie auf dem Snowboard sind auch dort die Linienwahl, die Geschwindigkeit und die Druckverlagerung wichtig. Jede Jahreszeit hat ihren Reiz. Aufgeben würde ich am ehesten den Herbst (lacht), obwohl er selbstverständlich auch wunderschöne Aspekte mitbringt.
Bist du eher Team Fondue oder Team Raclette?
Ganz klar Team Raclette (lacht). Wegen meines Geburtsgebrechens bin ich inkontinent und habe einen empfindlichen Bauch. Ein Fondue wäre definitiv zu viel (schmunzelt).
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