gruseliger schatten  hand  person (könnte zum beispiel ein einbrecher sein),  einen flur betritt (nur vom einfallenden sonnenlicht beleuchtet). gewaltfreies leben
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Women

«Ein gewaltfreies Leben zu haben, ist ein Grundrecht»

19.10.2022
von Vanessa Bulliard

Gleichstellung ist ihr Ziel: Die 30-jährige Gemeinderätin der Stadt Zürich setzt sich nicht nur politisch, sondern auch aktivistisch für Frauen ein. Anna-Béatrice Schmaltz erzählt im Gespräch mit «Fokus» von Herausforderungen einer Aktivistin und wann ihr Ziel erreicht ist.

Anna-Béatrice Schmaltz

Anna-Béatrice Schmaltz

Anna-Béatrice Schmaltz, weshalb kämpfen Sie für die Rechte der Frauen?

In der Schweiz gibt es immer noch keine Gleichstellung. Frauen übernehmen beispielsweise den grössten Teil unbezahlter Care-Arbeiten wie Haushalt und Kinder- oder Altersbetreuung, und es bestehen weiterhin Lohnungerechtigkeiten. Migrant:innen erleben Mehrfachdiskriminierungen. Sie erhalten weniger Lohn und können in der Schweiz teilweise nicht auf ihrem erlernten Beruf arbeiten, da ihre Berufsdiplome nicht anerkannt werden. 

Ein weiteres aktuelles Thema in der Schweiz ist die geschlechtsspezifische Gewalt. Die Anzahl gemeldeter Fälle von häuslicher Gewalt ist hoch und eine Studie von Amnesty International zeigt, dass mindestens jede zweite Frau bereits sexualisierte Gewalt erlebt hat. Es ist wichtig, alle Menschen für das Thema Gewalt zu sensibilisieren. Wir haben alle die Verantwortung, gemeinsam gegen Gewalt einzustehen. Als Feministin setze ich mich für ein diskriminierungsfreies Leben aller Menschen ein.

Was hat Sie dazu bewegt, sich aktiv gegen Gewalt an Frauen einzusetzen?

Ein gewaltfreies Leben zu haben, ist ein Grundrecht. Dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts Gewalt erleben, ist der ausschlaggebende Punkt, weshalb ich mich feministisch einsetze. Der Begriff Gewalt beinhaltet viele Bereiche: sexualisierte, häusliche sowie physische und psychische. Zudem ist es inakzeptabel, dass vor allem bei Fällen von sexualisierter Gewalt den Betroffenen oftmals eine Mitschuld zugesprochen wird. 

Wie kämpfen Sie genau gegen Gewalt an Frauen an?

Unter anderem in meinem Berufsalltag: Ich leite die Gewaltpräventionskampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» bei der feministischen Friedensorganisation cfd. Während 16 Tagen machen wir in Zusammenarbeit mit diversen Organisationen auf das Thema Gewalt aufmerksam. Betroffene sollen wissen, wo sie sich Hilfe und Unterstützung holen können. Während der Kampagne werden über 100 Veranstaltungen in Grossstädten und Dörfern der Deutschschweiz durchgeführt. Ziel ist die Präsenz des Themas und dadurch Sensibilisierung. 

Inwiefern unterscheidet sich geschlechtsspezifische Gewalt von nicht geschlechtsspezifischer Gewalt?

Erstere hat mit Rollenbildern und Vorurteilen zu tun. Man übt Gewalt aufgrund des Geschlechts einer Person aus. Feminizide oder Frauenmorde gehören auch dazu: In diesen Fällen erhebt der Partner in der Beziehung oftmals einen Besitzanspruch auf die Frau. Der Mord wird ausgeübt, um Kontrolle zu behalten. Das typische Männer-Frauen-Rollenbild ist immer noch tief in uns verankert. Frauen werden dafür verantwortlich gemacht, Gewalt zu vermeiden. Sie sollen sich nicht aufreizend kleiden oder spätabends allein unterwegs sein. Im Ausgang müssen sie auf ihr Getränk aufpassen, um nicht von K.-o.-Tropfen überrascht zu werden. Diese Schuldzuweisung ist nicht in Ordnung.

Geschlechtsspezifische Gewalt betrifft nicht nur Frauen, sondern auch alle Personen mit einer Geschlechtsidentität ausserhalb von Frau und Mann, die nicht in die gesellschaftlichen Geschlechterbilder passen.

Was finden Sie das Herausfordernste an der Arbeit als Aktivistin?

Es ist ein Privileg, Aktivistin sein zu können, denn es handelt sich um eine zeitintensive Tätigkeit. Nicht alle Menschen haben die zeitlichen Ressourcen, sich aktivistisch einzusetzen. Wenn man die Möglichkeiten hat, ist es aber wichtig, sich für Gleichstellung einzusetzen. Aktivismus ist ein langwieriger Prozess, der Beharrlichkeit benötigt. Nicht selten erlebe ich es, dass Forderungen nach Gleichstellung von anderen als radikal betrachtet werden, obwohl es eigentlich um ein gleichgestelltes Leben für alle geht.

Aktivist:innen werden teilweise nicht gerade mit offenen Armen begrüsst. Wie gehen Sie mit Beleidigungen um?

Ich erhalte tatsächlich immer wieder negative Mails. Teilweise handelt es sich um respektvolle Kritik, welche ich schätze. Doch leider gibt es auch des Öfteren angreifende Mails, in denen ich als Frau beleidigt werde und Sprüche zu sehen bekomme wie: «Du hast keine Ahnung. Geh wieder zurück in die Küche.» 

So verdreht das klingt, mit der Zeit gewöhnt man sich an solches. Jedoch schrecken Hassmails viele davon ab, sich öffentlich zu einem kritischen Thema zu äussern oder aktivistisch einzusetzen. Ich überlege mir immer, welche Mails ich beantworte oder lösche und welche ich aufgrund Gewaltandrohungen sogar bei der Polizei anzeige. 

Wann können Sie sagen, dass Sie Ihr Ziel der Gleichstellung erreicht haben?

Wenn alle Menschen ein gleichgestelltes Leben frei von Gewalt und Diskriminierung leben können. 

Wenn Sie dieses Ziel erreicht haben, wie stellen Sie sicher, dass dies auch so bleibt?

Das ist eine sehr grosse Frage, die sich beim Thema Gleichstellung stellt. Errungenschaften müssen nicht dauerhaft sein und es kann Rückschläge geben. Das macht den Kampf um Gleichstellung so schwer. Es braucht gesamtgesellschaftlich die Verantwortung und das Bewusstsein zur Sicherstellung von Errungenschaften. Gesetze bilden dabei den Grundpfeiler und sind essenziell für ein gewaltfreies Zusammenleben.

Was möchten Sie Frauen in der Schweiz mitteilen?

Alle Frauen sollen das Recht haben, ihr Leben nach eigenen Wünschen zu gestalten. Ich will Frauen bestärken, ihr Leben auszuleben. Sie dürfen mutig sein und zu sich selbst stehen. Auch haben sie das Recht, mit Respekt behandelt zu werden und ein gewaltfreies Leben zu leben. Leider sieht die Realität häufig noch anders aus. Wir sollten uns gegenseitig unterstützen und solidarisch sein, um Gleichstellung für alle zu ermöglichen. 

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