Viele Beispiele zeigen, dass eine berufliche Veränderung auch im reifen Alter gelingen kann.
Normalerweise kriegt man bei beruflichen Neuorientierungen auch im fortgeschrittenen Alter selbst von Profis immer dieselben Ratschläge: Studieren, Weiterbilden, Bewerben, Arbeiten und Durchhalten: «Dass ich dabei zunehmend unglücklich wurde – ja, sogar krank –, hätte ich am Anfang meines Berufsweges nicht gedacht», erinnert sich die gelernte Glasbläserin und heutige Berufsglück-Trainerin Julia Glöer auf ihrer Homepage. «Dass mir das Berufsglück lange verborgen blieb, lag vor allem an den tradierten Vorgehensweisen, mit denen ich versuchte, meine Berufsschmerzen zu heilen. Mein wahres Berufsglück fand ich deshalb erst, als ich begann, die konventionellen Verfahren der Berufsplanung und Stellensuche infrage zu stellen. Neugier und der Glaube daran, dass es anders gehen muss, liessen mich nach neuen Wegen fernab der ausgetretenen suchen. Ich begann, mich intensiv mit den Methoden von Richard Nelson Bolles auseinanderzusetzen sowie mit wissenschaftlich fundierten Verfahren aus der Motivationspsychologie und der modernen Hirnforschung. Ich verstand tiefer, was es braucht, damit Menschen berufliche Erfüllung finden.»
Basierend auf dem erworbenen Wissen, neuen Ausbildungen und Erfahrungen aus eigener Erprobung in Seminaren gründete Glöer das PLB-Institut. Dort vermittelt sie Menschen, die an Berufsschmerzen leiden, Techniken zur Zielfindung und kreativen Jobsuche. In den letzten 17 Jahren hat sie in über 220 Seminaren über 3000 Menschen den Weg ins Berufsglück gewiesen: «Bekannt wurde ich ganz sicher durch meine ungewöhnlichen Strategien bei der Stellensuche auf dem verdeckten Arbeitsmarkt. Das Wort Beruf etwa kommt von Berufung: Ich bin überzeugt, dass wir alle einer Beschäftigung nachgehen dürfen sollten, die uns erfüllt, zufrieden macht und gesund erhält. Ich plädiere aber auch dafür, dass 80 Prozent Zufriedenheit im Job ausreichen. Ein wenig den Ball flach zu halten, kann nicht schaden. Es muss nicht immer der absolute Traumjob sein.»
Die Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren hat in den letzten Jahren konstant zugenommen.
Gemäss Glöer sei ein hohes Alter bei schriftlichen Bewerbungen ein absolutes K.o.-Kriterium: «Ausserdem werden mehr als 50 Prozent der freien Stellen über Kontakte vergeben. Und genau diese Kontakte haben Stellensuchende nicht, besonders wenn sie sich in einem neuen Bereich bewerben möchten, in dem sie zudem über keine Berufserfahrung verfügen. Deshalb können sie sich nicht schriftlich bewerben», fasst Glöer die Probleme zusammen, vor denen viele Neuanfangende stehen. Der erste Schritt sei jedoch, genau festzustellen, was man in Zukunft beruflich machen möchte. Und dann Kontakte zu knüpfen.
Ganz anders, wenn man es sich leisten kann, beruflich kürzer zu treten. So geschehen bei Monika Ribar, die mit 54 Jahren ihren CEO-Posten bei Panalpina nach sieben Jahren auf oberstem Führungslevel und nach 23 Jahren Karriere beim Logistikriesen abgab. Kurz darauf habe das Telefon ein paar Mal geklingelt, wie sie auf dem Portal 50plus.ch erklärt: «Ich habe diverse interessante Angebote erhalten, darunter auch Möglichkeiten auf operativer Ebene.» Doch die Aussteigerin wollte nicht zurückkehren ins enge Korsett der Corporate World mit hoher Sitzungskadenz, Reisen, Besprechungen und einer 140-Prozent-Präsenz. Mehr Zeit für sich selbst wolle sie haben und eine Agenda, die sie selbst steuern könne. Deshalb konzentriert sich Ribar nun auf eine Karriere als Verwaltungsrätin, wo die Anforderungen in den letzten Jahren ebenfalls zugenommen haben.
Heinz Karrer ist ein weiteres Beispiel: Mit dem Wechsel ins Präsidium der Economiesuisse eröffneten sich für den damals 54-Jährigen neue Perspektiven. Er kam so aus dem durchgetakteten Leben des Axpo-CEO heraus und erhielt mehr Gestaltungsspielraum für VR-Ämter. Die Selbstmorde von Swisscom-CEO Carsten Schloter (49), «Zürich»-Finanzchef Pierre Wauthier (53) oder Visana-Chef Urs Roth (58) lassen manche:n Manager:in in der Lebensmitte sinnieren: Was fehlte diesen Corporate-Cracks, die sich so sehr über ihren Job definierten? Sollte ab 50 die Balance nicht besser gepflegt werden? – Der Reiz des Downshiftings, etwa per Verlagerung auf VR-Mandate, ist offensichtlich: Die Pace geht runter, das Prestige bleibt, und die Honorare auf dieser Stufe sind attraktiv, wie der Headhunter Sandro Gianella auf 50plus.ch sagt.
Vielleicht sollte man sich ab 50 Jahren mal eine Auszeit gönnen: So geschehen beim Schweizer Komiker Emil Steinberger, der im hohen Alter nach New York flüchtete. Nicht Krieg, stalkende Fans oder wütende Frauen verschlugen ihn 1993 nach Manhattan, sondern das Zuviel von allem. Im Big Apple wollte er durchatmen, nichts tun. Aber es wurde nichts daraus. New York beschäftigte ihn, in Amerika lebende Europäer baten ihn um Hilfe für alles Mögliche, und Emil Steinberger packte an. Nie aber hätte er gedacht, dass er sich drei Jahre später nochmals verlieben würde. Und ja: Mit seiner 32 Jahre jüngeren Ehefrau Niccel arbeitet Emil noch immer erfolgreich zusammen.
Gemäss dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) besonders offen, ältere Mitarbeitende zu beschäftigen bzw. einzustellen. So hat die Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren in den letzten Jahren konstant zugenommen. Die Alterung der Bevölkerung führt zu einem wachsenden Seniorenmarkt. Um diese Kundengruppe anzusprechen, sind ältere und erfahrenere Mitarbeitende zunehmend gesucht und ihre Erfahrungen für den Wissens- und Werkplatz Schweiz von hohem Wert. Ideale Voraussetzungen also, um gerade auch in Pandemiezeiten neue Job-Challenges zu suchen und zu finden.
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