containerschiff fährt unter autobrücke hindurch. symbolbild fachkräftemangel in  logistik
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Supply Chain Management Interview

«Instant economy» beschleunigt den Fachkräftemangel in der Logistik

23.01.2024
von Cedric Keiser

Die Logistik ist eine Branche mit Zukunft. Sie muss die hohen Ansprüche der Konsument:innen erfüllen und mit der Globalisierung mithalten können. «Fokus» sprach mit Dr. Beat M. Duerler über den Fachkräftemangel in der Logistik und die Lösungsansätze der Branche.

Dr. Beat M. Duerler,Präsident/Vorsitz der Geschäftsleitung, Swiss Logistics by ASFL SVBL

Dr. Beat M. Duerler
Präsident/Vorsitz der Geschäftsleitung, Swiss Logistics by ASFL SVBL

Dr. Beat M. Duerler, wie erleben Sie den Fachkräftemangel in der Logistikbranche?

Der Fachkräftemangel ist kein spezifisches Logistik­problem. In der Schweiz und in vielen Ländern Europas, ja auf der ganzen Welt fehlen in den unterschiedlichsten Branchen Arbeits- und Fachkräfte. Die Logistikbranche nimmt dabei aber eine besondere Stellung ein. Die Konsument:innen erwarten einen immer besseren Service. War eine Lieferung in einer Woche oder mit noch längerer Lieferzeit früher noch genügend muss heute in wenigen Stunden oder mindestens «next day» geliefert werden. Diese «instant economy» stellt hohe Anforderungen an mehrere Verkehrsträger: Der Schienen-, Luft- und Seeverkehr benötigen alle Arbeitskräfte. Auch in anderen Logistikberufen wie im Lager, im Handling oder in grossen Verteilzentralen sind zusätzliche Mitarbeitende sehr gefragt.

Was sind die Ursachen für den Fachkräftemangel?

Die Konsument:innen sind trotz Nachwehen der Pandemie weiterhin bereit, viel Geld auszugeben und die Nachfrage ist in vielen Wirtschaftsräumen bis anhin hoch geblieben. Der Konsum ist auf eine funktionierende Supply Chain angewiesen. Von der Produktion über Lagerung und Transport bis zur Distribution müssen die Logistiknetze funktionieren. Eine veränderte Ethik in der Wirtschaft und der Bevölkerung in vielen Ländern ruft auch nach einer Entsorgungslogistik entsprechend den aktuellen Kriterien des Recyclings. Expert:innen rechnen mit zwischen 300 000 und einer Million fehlender Fachkräfte alleine in der Schweiz. Diese Herausforderung wird auch die Logistikbranche betreffen.

Die berufliche Grundbildung als Logistiker:in ist sehr beliebt. Warum kämpft die Branche trotzdem mit einem Mangel an Arbeitskräften?

Der «Kampf» um Arbeits- und Fachkräfte beginnt schon auf dem Lehrstellenmarkt und zieht sich bis zum Arbeitsmarkt weiter – auch für Arbeitskräfte im fortgeschrittenen Alter. Jede Branche ist aber gut beraten, für alle Altersgruppen attraktive Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Die Grenze Ü-50 sollte dabei fliessend gehandhabt werden, denn auch Arbeitskräfte mit fünf bis zehn Jahren zeitlichen Kapazitäten sind auf dem Arbeitsmarkt eine nicht zu unterschätzende Option im Kampf gegen Arbeits- und Fachkräftemangel.

Wie zukunftsträchtig ist ein Beruf in der Logistik?

Die beruflichen Aussichten in der Logistikbranche sind sehr vielversprechend, und obwohl die Globalisierung teilweise an ihre Grenzen stösst und externe Effekte die Versorgungsketten stören können, sind die Aussichten ausgezeichnet. Transport, Lagerung, Import und Export im globalen und regionalen Kontext versprechen attraktive Karrieremöglichkeiten. Der aufgezeigte Fachkräftemangel bietet auch beste Möglichkeiten für Quereinsteigende jeden Alters.

Welche Bedeutung hat die Logistik­branche für die globale Supply Chain?

Die Logistikbranche hat in den letzten 30 Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Einen zusätzlichen Schub erhielt die Branche während der Corona-Pandemie. Die Bedeutung der Versorgung mit «Gesundheit» und «Konsumgütern» hat die Relevanz gut funktionierender Lieferketten der gesamten Bevölkerung vor Augen geführt.

In der Schweiz und in vielen Ländern Europas, ja auf der ganzen Welt fehlen in den unterschiedlichsten Branchen Arbeits- und Fachkräfte. Dr. Beat M. Duerler

Zusätzlich haben einzelne Effekte, sei es ein Naturereignis oder ein «Unfall», die Fragilität der globalen Versorgungsketten aufgezeigt. Ein Containerschiff liegt quer im Suezkanal und nur wenige Tage später steht ein Grossteil der Containerschiffe still.

Welche Rolle wird KI in Zukunft in der Logistik spielen?

Das Zusammenspiel zwischen Warenfluss und Informationsfluss stand immer im Zentrum der Logistik. Durch Automation und vermehrte Optimierung der Informationen – auch dank künstlicher Intelligenz – werden Prognose und Ausführung der Logistikflüsse immer genauer möglich. Im Vordergrund stehen die gesamten Abläufe in der Güterversorgung und Logistikerinnen und Logistiker werden vermehrt komplexe Aufgaben in der Supply Chain beherrschen müssen, wogegen die repetitiven einfachen Arbeitsschritte immer mehr automatisiert werden können.

Was ändert sich durch die Revision der beruflichen Grundbildung im nächsten Jahr?

Mit der Revision 2024 werden die Digitalisierung und die LOK (Lernortkooperation) an allen drei Lernorten umgesetzt. Sowohl in den Betrieben als auch in den Berufsschulen und in den überbetrieblichen Kursen arbeiten alle Lernenden mit ihrem eigenen Laptop und mit einem integrierten digitalen System basierend auf dem virtuellen Logistikunternehmen Entersite AG. Zudem werden die Logistikberufe mit der Totalrevision auf die wandelnden Bedürfnisse der Betriebe angepasst. So wird zum Beispiel ab Sommer 2024 im Berufsfeld Logistik der neue Beruf «Fachfrau/Fachmann Bahntransport» eingeführt. Damit soll dem Mangel an Lokomotivführer:innen entgegengewirkt werden.

Was wird sich mit der Revision der höheren Berufsbildung 2024 ändern?

Nebst der beruflichen Grundbildung eröffnen sich neue und zusätzliche Möglichkeiten – etwa in der Höheren Berufsbildung – die Kompetenzen zu erweitern und das Management der länderübergreifenden Logistikströme zu erlernen. Nur mit Weiterbildung und Angeboten in der höheren Berufsbildung können Lernende später als Fachkräfte für die Branche erhalten bleiben.

Wie kann die Branche generell attraktiver für neue Mitarbeitende werden?

Die OdA Swiss Logistics by ASFL SVBL, verantwortlich für das Berufsfeld Logistik, tut gut daran sowohl in der Grundbildung attraktive Berufsausbildungen als auch in den weiteren Stufen ebensolche Weiter- und Fortbildungen anzubieten. Aber die Branche ist viel umfassender. Der Branchenzusammenschluss unter dem Label Swiss Supply hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Branche besser bekannt zu machen und im Interesse der gesamten Versorgungsbranche gemeinsam aufzutreten. Natürlich sind auch die traditionellen Ansätze der Motivation in der Branche wichtig. Es müssen marktkonforme Löhne bezahlt werden und die Arbeitszeiten müssen auch die Bedürfnisse kommender Generation – Gen Z und Gen alpha – berücksichtigen.

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