Interview von Akvile Arlauskaite

Climate Anxiety: Wenn die Sorgen ums Klima zur Angst werden

Während viele die globale Lage hinsichtlich des Klimawandels als besorgniserregend empfinden, verwandeln sich bei einigen die Sorgen in regelrechte Ängste. Was man unter der Klimaangst versteht und was Betroffene tun können, verrät Flavia Gosteli, Präsidentin des Umweltpsychologievereins IPU, im Interview mit «Fokus».

Während viele die globale Lage hinsichtlich des Klimawandels als besorgniserregend empfinden, verwandeln sich bei einigen die Sorgen in regelrechte Ängste. Was man unter der Klimaangst versteht und was Betroffene tun können, verrät Flavia Gosteli, Präsidentin des Umweltpsychologievereins IPU, im Interview mit «Fokus».

Flavia Gosteli, worin liegen die Ursachen der Climate Anxiety?

Die Klimakrise ist eine komplexe, umfassende, schwer greifbare und existenzielle Bedrohung. Die Auseinandersetzung mit ihr kann überwältigend sein und Gefühle der Ohnmacht, fehlender Selbstwirksamkeit sowie Zukunftsängste auslösen. Selbst wenn wir es schaffen, unseren eigenen Lebensstil umzukrempeln, uns für zukunftsweisende Nachhaltigkeitsprojekte zu engagieren und etwas in unserem Umfeld zu bewegen, erscheint jede noch so erfolgreiche Bemühung dennoch wie ein Tropfen auf den heissen Stein – und dieser rollt immer schneller und unkontrollierbarer über uns hinweg.

Dazu kommt die menschliche Trägheit: Auf nationaler wie internationaler Ebene zeigt sich an Abstimmungen und Klimakonferenzen, wie schwer es der Gesellschaft trotz all unseres Wissens fällt, schnelle und wirkungsvolle Massnahmen umzusetzen, um die Klimakrise abzuwenden. Dies kann den subjektiven Eindruck verstärken, unaufhaltsam in eine Katastrophe zu schlittern. Auf individueller Ebene besteht zudem ein gewisses Mass an Unsicherheit. Es gibt zwar viele belastbare Fakten und Prognosen, doch bleibt es für Laien schwierig voraussehbar, wann und wie genau sie die Auswirkungen des Klimawandels spüren werden und wie die Menschheit auf Folgen wie vermehrte Extremwetterereignisse und Ressourcenknappheit reagieren wird.

Wo enden die «normalen» Sorgen um den Klimawandel und wo beginnt die Klimaangst?

Der Begriff umschreibt diverse Erscheinungsformen von Angst, die durch spürbare oder antizipierte Klimawandelfolgen ausgelöst wird. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Ausprägungen sind fliessend – von moderaten Sorgen bis hin zu stark einnehmenden, chronifizierten Ängsten. Grundsätzlich können moderate Ängste hinsichtlich der Klimakrise als «normale» Reaktion auf eine reale Bedrohung angesehen werden und können sogar wichtig sein, um aufzurütteln und die nötige Handlungsenergie freizusetzen. Während die Climate Anxiety keine offiziell anerkannte psychische Erkrankung ist, kann sie durchaus belastend und somit ein möglicher Auslöser für verschiedene Beschwerden sein. Diese können von zunehmendem Gedankenkreisen, Zukunftsängsten oder Schlafproblemen über Somatisierung in Form von etwa Kopf- oder Bauchschmerzen bis hin zu sozialer Isolation, existenziellen Ängsten, Angststörungen, Depressionen oder Panikattacken reichen.

Grundsätzlich kann jede Person, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt, Ängste und Sorgen entwickeln.

Gleichzeitig ist der Begriff noch relativ jung und bisher wenig differenziert und erforscht. Daher ist er mit Vorsicht zu verwenden. Unter Umständen kann er nämlich die Gefahr bergen, angemessene emotionale Reaktionen zu pathologisieren, oder ein gesellschaftliches Problem zu individualisieren. Dennoch ist es wichtig, Betroffene, die spürbar unter klimabezogenen Ängsten leiden, ernst zu nehmen und entsprechend zu unterstützen.

Wer ist am häufigsten von Klimaangst betroffen?

Grundsätzlich kann jede Person, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt, Ängste und Sorgen entwickeln. Aktuell wird Climate Anxiety häufig unter den jüngeren Generationen untersucht, da diese am meisten von den Folgen der Klimakrise betroffen sein werden und in ihrer Position noch kaum grossflächig etwas bewirken können, abgesehen von Bewegungen wie Fridays for Future. In einer globalen Studie berichtete fast die Hälfte der jungen Befragten, dass ihre klimabezogenen Sorgen ihren Alltag und ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. 

Weiter lässt sich im internationalen Vergleich eine Tendenz zu einer stärkeren Verbreitung belastender Sorgen im globalen Süden erkennen, wo die Auswirkungen des Klimawandels bereits stärker spürbar sind und weniger Vertrauen in die politischen Kräfte herrscht als in westlichen Ländern. Zudem ist anzunehmen, dass viele Personen sich ihrer Sorgen aufgrund von Verdrängungsprozessen nicht richtig bewusst sind, wodurch die tatsächliche Verbreitung klimabezogener Ängste noch grösser sein könnte.

Wann sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden?

Ein zentraler Faktor ist der persönliche Leidensdruck. Wenn die Sorgen so überwältigend stark werden, dass sie nicht mehr kanalisiert werden können und das Denken, Handeln und Bewältigen der persönlichen Alltagsanforderungen beeinträchtigen, bedürfen Betroffene fachlicher Hilfe. Grundsätzlich gilt: Je früher, desto besser. So kann frühzeitig einem längeren Leidensweg entgegengewirkt werden.

Welche Bewältigungsstrategien können Betroffenen helfen? 

Wichtige Stichworte sind Selbstfürsorge und Achtsamkeit. Auch eine gesunde Abgrenzung und bewusste Einteilung der eigenen Ressourcen sind wichtig. In der Auseinandersetzung mit Informationen aus dem Internet kann man sich beispielsweise die Frage stellen: Wie viel Zeit möchte ich dafür aufwenden, mich über das Problem zu informieren? Und wie viel Zeit dafür, nach Lösungen und Best-Practice-Beispielen zu suchen? Häufig fehlt es weniger an der Information über bestimmte Klimagefahren, sondern vielmehr an greifbaren Handlungsoptionen und konkreten Zielvisionen.

Es braucht eben doch all die vermeintlich unbedeutenden kleinen Schritte, um als Gesellschaft gemeinsam den Weg in eine nachhaltige Zukunft zu gehen.

Derartige positive Perspektiven verbreiten Hoffnung und zeigen den eigenen Handlungsspielraum auf. Aktives, gemeinsames Engagement wiederum kann helfen, Ängste und Hilflosigkeit zu überwinden, Sinnhaftigkeit zu empfinden und die Krise als Chance für Entwicklung zu nutzen. Wichtig ist hierbei jedoch die Akzeptanz der Grenzen des eigenen Wirksamkeitsradius.

Zu hoch gesteckte Ziele führen unweigerlich zu Überforderung und Überschöpfung. Innerhalb des eigenen Umfeldes hat aber jede Person die – häufig unterschätzte – Möglichkeit, etwas zu bewirken. Auch wenn der eigene Beitrag in Relation zu globalen Entwicklungen klein erscheinen mag: Es braucht eben doch all die vermeintlich unbedeutenden kleinen Schritte, um als Gesellschaft gemeinsam den Weg in eine nachhaltige Zukunft zu gehen.

Während das Aktivwerden die wohl wirksamste Bewältigungsstrategie darstellt, meidet es ein Teil der Betroffenen, sich mit ihrer Klimaangst auseinanderzusetzen. Weshalb und welche Folgen kann dies haben?

Die Auseinandersetzung mit einem umfassenden Problem wie der Klimakrise erfordert viele emotionale und kognitive Ressourcen. Stehen diese nicht bereit oder sind wir nicht dazu bereit, sie dafür aufzuwenden, liegt es nahe, die Gedanken und Emotionen zu verdrängen, dem Thema auszuweichen oder sich abzulenken – ein selbstschützender, psychologischer Abwehrmechanismus.

Ein gewisses Mass an Abgrenzung ist zwar in bestimmten Situationen nötig, um handlungsfähig zu bleiben. Wenn die Abwehr oder Verdrängung jedoch die einzigen Coping-Strategien bleiben, wird die Chance verfehlt, die Botschaft dieser Emotionen zu erkennen und als Handlungsmotivation zu nutzen. Zudem sind damit die Angst und die Bedrohung nicht einfach weg, sondern können sich weiter anstauen und unser Denken und Fühlen unbewusst beeinflussen, lähmen oder überwältigen.

Welche weiteren Coping-Strategien existieren im Zusammenhang mit der Climate Anxiety?

Neben Verdrängen und Ablenken können auch das Bagatellisieren und Leugnen von wissenschaftlichen Erkenntnissen, das Verbreiten von «alternativen Fakten» und Korrumpieren von Studienergebnissen beobachtet werden. Diese Strategien mögen kurzfristig zu einer Linderung des eigenen Bedrohungsempfindens führen, verstärken durch Tatenlosigkeit jedoch langfristig das Problem.

Wie können Aussenstehende die Betroffenen unterstützen?

Ein einfaches und doch wirksames Mittel sind Gespräche. Der öffentliche Diskurs beruht relativ stark auf faktenbasierten, naturwissenschaftlichen Informationen. Währenddessen wären Gespräche über die emotionale Wirkung dieser Fakten wichtig, um sie wahrnehmen, verarbeiten und bewältigen zu können, anstatt sie zu verdrängen. Das Sprechen hilft in diesem Sinne, eigene diffuse Emotionen zu erkennen und zu benennen, sich durch das Gegenüber gehört zu fühlen, soziale Unterstützung zu spüren sowie in die Handlung zu kommen.

Nicht immer finden Betroffene jedoch von sich aus einen Weg, um das Gespräch zu suchen oder sich Hilfe zu holen. Wenn sich jemand Sorgen um eine Person im eigenen Umfeld macht, kann ein behutsames Angebot für ein Gespräch ein hilfreicher erster Schritt sein.

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30.04.2022
von Akvile Arlauskaite
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