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Jamie Lee Curtis war zehn Jahre süchtig – und niemand wusste es…

05.12.2020
von Marlène von Arx

Zehn Jahre hatte sie ihre Sucht versteckt. Dann fasste Jamie Lee Curtis 1999 den Entschluss: keine Tabletten und keinen Alkohol mehr. Warum sie nach all den Jahren aufhören konnte und weshalb sie öffentlich darüber spricht, erzählt die Schauspielerin («Knives Out») im Interview.

Jamie Lee Curtis, Sie haben ein Tabu gebrochen und diskutieren Ihre Alkohol- und Opiatabhängigkeit öffentlich. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Vielleicht hilft es Leuten, zu wissen, sie sind nicht allein. Ich fühlte mich während meiner Sucht sehr isoliert und allein. Dann las ich in der Zeitschrift «Esquire» einen Artikel mit dem Titel «Mein Vicodin», das mein Leben beschrieb. Ich merkte zum ersten Mal, dass andere auch tun, was ich tue. Einen Monat später hörte ich mit dem Trinken und den Pillen auf. Der Artikel ist zu 80 Prozent dafür verantwortlich.

Ich fühlte mich während meiner Sucht sehr isoliert und allein. Jamie Lee Curtis

Was stand denn in dem Artikel, das Ihnen so vertraut vorkam?

Der Autor sagte, er wisse nicht, wo die Geburtsurkunde der Kinder oder seine AHV-Karte sei, aber er wisse genau, wo er überall sein Vicodin versteckt habe: drei im linken Cowboy-Stiefel im Flurschrank, vier im Saum der Baseball-Mütze, etc. und er wusste, sobald er den Artikel abgab und Familie, Freunde und Arbeitskollegen davon erfuhren, würde er nicht mehr zu diesem Leben zurückgehen können.

Wie sah denn der Wendepunkt bei Ihnen aus?

Ich war zehn Jahre süchtig und niemand wusste es. Ich war ja trotzdem fabulös. Ich arbeitete viel und gewann Preise. Ich wusste aber, dass ich ein Problem hatte. Die Geheimnistuerei war wirklich das Schlimmste für mich. Das war mein Gefängnis. Als alles raus war, konnte ich das Problem akzeptieren und angehen.

Wie kam es raus?

Es war in den Weihnachtsferien in Idaho. Ich war gegen aussen die perfekte Mutter: Alle Geschenke waren unter dem Baum, ich kochte jede Mahlzeit. Aber das alles stresste mich heimlich. Ich erinnere mich, dass ich eine Handvoll Vicodin-Pillen im Hosensack hatte und sie mit einem Glas Wein herunterspülte. Ich starrte dabei aus dem Fenster und plötzlich hörte ich hinter mir meine brasilianische Freundin, die zu Besuch war und Heilerin ist: «Weisst du Jamie, ich sehe dich mit deinen kleinen Pillen und du denkst, du bist so besonders und fantastisch, aber du bist tot. Du bist eine tote Frau.» Ich drehte mich zu ihr um und fing an zu weinen.

Weil Sie ertappt wurden?

Ja, ertappt zu werden und zu wissen, dass jetzt sonst noch jemand weiss, dass ich nicht so fantastisch bin, war der Anfang. Das war im Dezember. Im Januar las ich den Artikel und im Februar hörte ich auf. Es brauchte noch etwas Zeit, aber weil ich das Geheimnis los war, fühlt ich auch weniger Scham und es war einfacher, von der Sucht wegzukommen – nicht, dass es keine schwierigen Momente gab.

Damals war die Opiatsucht ja noch kein so grosses Thema. Heute spricht man in den USA von einer Opioid-Epidemie….

Genau. Inzwischen sind Michael Jackson und Prince daran gestorben. Zuerst müssen wohl Prominente sterben, bis ein Problem die ihm gebührende Aufmerksamkeit bekommt. Es gibt neue Gesetze und Datenbanken, in denen festgehalten wird, wer wie viele Opiate verschreibt und konsumiert. Es ist schwieriger, an die Pillen ranzukommen. Letztes Jahr war ich das Cover-Girl auf der «Recovery»-Ausgabe des Filmfachblatts «Variety». Wenn es eine Industrie gibt, die vom Drogen- und Alkoholproblem tangiert wird, dann sicher die Unterhaltungsindustrie. Aber es gibt eine Lösung, es gibt Programme. Das will ich aufzeigen, wenn ich öffentlich darüber spreche.

Jamie Lee Curtis

Jamie Lee Curtis

Als Sie auf Entzug waren, wusste die Öffentlichkeit aber nichts davon. Wann spürten Sie, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, Ihre Erfahrung mit anderen zu teilen?

Stimmt, ich bin sehr privat und führte ein zurückgezogenes Leben. Drei Jahre später gab ich einer Frauenzeitschrift ein Interview und erzählte, wie super ich mich fühlte und dass meine Beziehung zu meinem Mann und meiner Tochter besser als je zu vor sei. Die Journalistin fragte, wieso das so sei. Ohne etwas zu vermuten. Vermutlich weil ich seit zwei Jahren trocken war, antwortete ich. Ihr klappte die Kinnlade herunter. Ich wusste, es war der richtige Moment. Aber ich spreche nicht über das Warum und wie es so weit kam, sondern über die Wohltat meines Entschlusses, aufzuhören.

Sie wurden als Tochter eines Hollywood-Traumpaars, Tony Curtis und Janet Leigh, geboren. So berühmte Eltern zu haben, war sicher nicht immer nur einfach?

Die Wahrheit ist: Berühmte Eltern zu haben folgt einem wie ein Furz-Gestank: Die anderen kriegen den in die Nase und machen ein Aufheben. Nicht man selber. Als Teenager wird man von den anderen stets daran erinnert, dass man nichts besonders sei, nur weil man berühmte Eltern hat, oder dass man nur besonders ist, weil man berühmte Eltern hat und keinesfalls eigenes Talent haben kann. Dabei kannte ich ja Tony Curtis kaum. Meine Eltern waren geschieden und ich sah ihn nur wenig.

Dabei kannte ich ja Tony Curtis kaum. Jamie Lee Curtis

Was ist Ihre liebste Erinnerung an ihn?

Meine Schwester Kelly und ich besuchten ihn in Europa, als er die Krimiserie «Die 2» drehte. Wir fuhren nach Sardinien und noch bevor das Gepäck in der gemieteten Villa ankam, rissen wir beide uns die Kleider vom Leib und sprangen ins Meer. Da fühlte ich mich besonders, denn alle anderen wollten aus dem einen oder anderen Grund nicht mit ins Wasser. Und ich denke ehrfürchtig daran zurück, dass er seinem Land in einem U-Boot in der Navy diente, als Japan kapitulierte. An seinem Militärbegräbnis hob ich die abgefeuerten Patronen auf und verteilte sie an meine Geschwister und seine Grosskinder. Das ist alles, was ich von ihm habe.

Tatsächlich?

Ja, er hat alle seine Kinder enterbt. Mein Vater, meine Mutter und mein Stiefvater waren insgesamt zwölf Mal verheiratet. Bei so vielen Ehen, gibt’s finanziell Ärger. Ich gebe seiner letzten Frau nicht die Schuld. Er hat ja unterschrieben. Das tut weh. Ich war gut etabliert, es ging jedoch nicht allen Geschwistern so. Aber wir sind nicht die erste und sicher auch nicht die letzte Familie, die sich um Geld streitet.

Als Filmsohn von Jamie Lee Curtis feierte Daniel Radcliffe 2001 mit «Der Schneider von Panama» sein Kinodebüt. Das Interview mit dem späteren «Harry Potter»-Star lesen Sie hier.

Für «Knives Out» stand Jamie Lee Curtis des Weiteren gemeinsam mit Don Johnson vor der Kamera. Das Interview mit dem Schauspieler gibt es direkt hier.

Interview Marlène von Arx Bilder HFPA

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