betroffene leiden unter konversionsmassnahmen
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«Konversionsmassnahmen sind für Homosexuelle höchst belastend»

19.02.2022
von Andrina Brodbeck

Roman Heggli ist Geschäftsleiter von Pink Cross, dem Dachverband von schwulen und bisexuellen Männern. Im Interview erklärt er, was die sogenannten «Konversionstherapien» zur «Heilung» von Homosexualität bei Betroffenen auslösen und wie diese zu solchen Angeboten gelangen.

Roman Heggli Pink Cross

Roman Heggli ist Geschäftsführer von Pink Cross.

Konversionstherapien sollen die sexuelle Neigung von homosexuellen Menschen «heilen» und die geschlechtliche Identität einer Person gezielt verändern oder unterdrücken. In unseren Nachbarländern wie Deutschland und Frankreich sind solche Konversionsmassnahmen verboten, da oft schweres körperliches und seelisches Leid entsteht. In einer verdeckten Reportage vom Schweizer Radio und Fernsehen wurde gezeigt, wie einfach es ist, an Anbieter solcher Konversionstherapien zu kommen. In Folge darauf hat Pink Cross im Januar eine Petition eingereicht, um das Verbot der Konversionstherapien in der Schweiz zu erzielen.

Roman Heggli, wie gelangen Betroffene zu sogenannten «Heiler:innen», zumal die Konversionstherapie öffentlich nicht angeboten wird? 

Es gibt in der Schweiz diverse Akteur:innen und Organisationen, die sogenannte «Konversionstherapien» unter der Hand anbieten. Viele davon sind einem sehr rückständigen freikirchlichen Milieu anzusiedeln. Wir von Pink Cross gehen davon aus, dass die Kontakte hauptsächlich über das persönliche Umfeld vermittelt werden. Diese und weitere Fragen sind in der Schweiz aber leider mehrheitlich ungeklärt, weswegen wir ihnen mit einer Recherche in den nächsten Monaten nachgehen werden.

Was lösen diese Konversionstherapien bei den Betroffenen aus?

Solche Handlungen mit dem Ziel, die sexuelle Orientierung einer Person zu unterdrücken oder zu verändern, sind für Betroffene meist höchst belastend und können sogar traumatisierend sein. Ihnen wird eingetrichtert, dass ihr Empfinden «falsch» ist. Ausserdem wird ihnen die «Heilung» von diesen Gefühlen versprochen. Doch egal, wie häufig gebetet wird und wie viel «Pseudotherapie» Betroffene über sich ergehen lassen müssen – ihre sexuelle Orientierung ändert sich nicht. So meinen viele Betroffene, sie würden versagen und müssten sich noch mehr anstrengen. Es ist ein Teufelskreis!

Werden Betroffene gezwungen, die Konversionsmassnahmen über sich ergehen zu lassen oder wollen sie von sich aus «Hilfe» in Anspruch nehmen? 

Zwang ist ein starkes Wort. Ich würde eher sagen, dass viele der Betroffenen von ihrem Umfeld gedrängt werden, Konversionsmassnahmen über sich ergehen zu lassen, beispielsweise von ihren Eltern. Betroffene sind oft bereits in ein rückständiges freikirchliches Milieu eingebunden, das ihnen klare «Regeln» eines «guten» Lebens vorgibt. Beispielsweise, dass sie keinen Geschlechtsverkehr vor der Ehe haben dürfen oder eben nur heterosexuell leben sollten. Mit diesem Hintergrund und Umfeld gibt es deshalb viele, die solche Massnahmen vermeintlich freiwillig über sich ergehen lassen. Man muss jedoch bedenken, dass sie oftmals keine Wahl haben, denn entweder sie lassen sich «therapieren» oder sie werden aus ihrer Gemeinschaft ausgestossen. Konversionsmassnahmen dürfen jedoch nicht mit tatsächlichen therapeutischen Angeboten verwechselt werden. Viele Personen haben noch heute leider Mühe, sich und ihre sexuelle Orientierung zu akzeptieren. Deswegen ist es wichtig, dass Beratungsangebote und Psychotherapeut:innen Betroffene in diesem Prozess ergebnisoffen unterstützen und stärken.

In unseren Nachbarländern wie Frankreich und Deutschland sind Konversionstherapien verboten – bei uns noch nicht. Pink Cross hat deswegen im Januar eine Petition eingereicht. Was war der Auslöser für den Zeitpunkt und was wird im Detail gefordert?

Wir fordern bereits seit sehr vielen Jahren ein Verbot dieser schädlichen Konversionsmassnahmen. Die neue Reportage von SRF hat erneut gezeigt, wie einfach es ist, an solche «Homo-Heiler:innen» ranzukommen. Dabei waren wir besonders schockiert, dass auch ein Seelsorger der Heilsarmee Homosexualität «wegbeten» wollte. Die Heilsarmee ist in der Gesellschaft breit akzeptiert und wird auch stark durch öffentliche Gelder unterstützt. Mit der Petition fordern wir deshalb den Bundesrat auf, die Vorgänge bei der Heilsarmee zu untersuchen und Konversionsmassnahmen endlich schweizweit zu verbieten. Es ist höchste Zeit!

Welche Rückmeldungen haben Sie von der Öffentlichkeit bezüglich der Petition erhalten?

In nur einer Woche haben über 12 000 Personen die Petition unterschrieben. Das sind sehr viele Menschen für eine Organisation unserer Grösse und für dieses Thema. Es zeigt deutlich: Die Bevölkerung will solche schädlichen Praktiken nicht länger akzeptieren.

Verboten heisst bekanntlich leider nicht, dass eine Sache künftig auch tatsächlich nicht mehr angeboten wird. Denken Sie, das Verbot wird das Problem vollständig lösen? 

Wir fordern, dass das Anbieten, Vermitteln und Bewerben von solchen Handlungen verboten wird. Ein strafrechtliches Verbot hat eine starke Signalwirkung: Wenn Eltern wissen, dass sie etwas Verbotenes tun, wenn sie ihren schwulen Sohn in eine solche «Therapie» schicken, wird das viele davon abhalten. Gleichzeitig braucht es endlich eine LGBTIQ-sensibilisierte Sexualaufklärung in der Schule. Das ist noch immer die beste Prävention, denn so werden queere Jugendliche gestärkt und können sich zur Wehr setzen.

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