wintertourismus in den schweizer bergen
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Gesellschaft Winter

Eroberung der Schweizer Bergwelt

03.12.2022
von SMA

Längst sind die Alpen zum Wahrzeichen der Schweiz und Inbegriff der Heimatliebe geworden. Ihre Verklärung gehört heutzutage vielerorts zum Mantra – sowohl im Sommer- als auch im Wintertourismus. Doch das war nicht immer so.

Früher gab es noch keine klassischen Tourist:innen. Vielmehr streiften Säumer, Handelsreisende und Pilger durch die Schweiz. Ihnen folgten wagemutige Naturforschende, die den hiesigen «Merkwürdigkeiten» auf die Spur gingen: Berge, Schluchten, Wasserfälle, Seen und Gletscher auf so engem Raum begeisterten die Humanist:innen. Kriegswirren in Europa setzten den Entdeckungsfahrten vorübergehend aber ein Ende und erlebten erst im ausgehenden 17. Jahrhundert wieder neuen Aufschwung, wie das EDA schreibt.

Auf Bildungsreise durch Europa

Junge Adlige und Bürgerliche vor allem aus England unternahmen zum Abschluss ihrer Ausbildung im 18. und 19. Jahrhundert eine Reise durch Europa, selbstverständlich nicht ohne Halt in der Schweiz. Die Berge übten auf die vornehmlich jungen Herren eine besondere Faszination aus. Die Genferseeregion, das Berner Oberland sowie die Zentralschweiz galten damals als Schweizer Hauptreiseziele. Nach 1815 entstanden die ersten Berggasthäuser: 1816 auf der Rigi, 1823 auf dem Faulhorn mit dem höchstgelegenen Gasthaus Europas, 1835 auf der Wengernalp, 1838 auf der Kleinen Scheidegg mit Blick zur Eigernordwand und 1840 auf dem Brienzer Rothorn.

Die goldenen Jahre des Wintertourismus

Nach 1800 begannen wagemutig Alpinisten die Schweizer Bergriesen zu bezwingen. Mit der Erstbesteigung der Jungfrau 1811 und des Faulhorns 1812 setzte die lange Reihe der Gipfelstürme ein, die 1865 mit der dramatischen Besteigung des Matterhorns einen ersten Höhepunkt fand. Die Jahre zwischen 1854 und 1865 werden als «goldene Jahre des Alpinismus» bezeichnet. Vorwiegend britische Bergsteiger, meist reiche Angehörige höherer Berufsstände, Akademiker oder gar Adelige erklommen in den Alpen schwindelerregende Höhen. 1857 gründeten englische Alpinisten den britischen Alpine Club, 1863 folgte in der Schweiz der Schweizer Alpenclub (SAC), der nicht in erster Linie auf Erstbesteigungen, sondern auf die Erforschung der Alpen auf breiter Basis sowie auf ihre Erschliessung mit Unterkünften ausgerichtet war.

Abwechslungsreiche SAC-Hütten

Schon in seinem ersten Jahr baute der SAC eine alpine Unterkunft, die Grünhornhütte am Glarner Tödi. Im Laufe der Zeit kamen zahlreiche weitere Hütten hinzu. Sie dienten anfänglich der geografischen und naturkundlichen Erforschung des Gebirges sowie dem Alpinismus, später auch dem aufkommenden Bergwandern und Skifahren. Längst gehören sie zum kulturellen Erbe des Alpenraums: Ohne SAC-Hütten wären die Schweizer Berge nicht mehr denkbar. Dabei weist jede Hütte ihre eigene Geschichte auf, was sich bis heute gut an ihrer Erscheinung, Architektur und Einbettung in die Landschaft ablesen lässt. Das Spektrum reicht von der familienfreundlichen Hütte in grüner Umgebung bis zum spartanisch eingerichteten Biwak am Felsgrat, vom verzierten, traditionellen Steinbau bis zum minimalistischen, metallverkleideten Holzbau, vom unbewarteten Kabäuschen mit Plumpsklo bis zum High-Tech-Gebäude mit ferngesteuerter Heiztechnik, wie im SAC-Jubiläumsbuch von Marco Volken und Remo Kundert zu lesen ist. Um diese Hütten zu erreichen, benötigt man mal zwei Minuten, mal zwei Stunden und mal zwei volle Tage. Und: Jede Hütte steht in einer einzigartigen Umgebung – ob weit oben am Matterhorn oder auf dem Passo di Cristallina, im hintersten Val Roseg oder hoch über dem Glacier d’Otemma.

Nicht zuletzt dank Thomas Manns «Der Zauberberg» erlangte Davos Weltberühmtheit.

Heilende Bergluft

Im 19. Jahrhundert entdeckte man die heilende Wirkung des Hochgebirgsklimas bei Lungenleiden. 1841 wurde in Davos eine Anstalt für halsdrüsenerkrankte und schwindsüchtige Kinder eröffnet und ab 1853 galt das Davoser Heilklima als sicheres Mittel gegen die Tuberkulose. Eine Vielzahl von Sanatorien wurde in den Schweizer Bergregionen errichtet und die Bergorte verkauften sich als Luftkurorte. Molke, Kneippbäder, Wasser aus der Quelle, frisches Klima und die staubarme Luft der Berge waren die Kuringredienzien. Nicht zuletzt dank Thomas Manns «Der Zauberberg» erlangte Davos Weltberühmtheit.

Auf der Via Cook

Mitte des 19. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel im Tourismus. 1858 führte Thomas Cook erstmals eine englische Reisegruppe durch Europa. Ihre Reiseroute durch die Schweiz kann heute auf der Via Cook nachgewandert werden. Gegen Ende des Jahrhunderts schwoll der Strom Reisewilliger an. Der Ausbau der Passübergänge und die eingeführten Kutschendienste machten die Bergwelt auch einem breiteren Publikum zugänglich.

Mit der Bahn auf den Gipfel

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand mit der Erfindung der Zahnradbahn eine architektonische Meisterleistung statt: Die Eisenbahn konnte nun auch die Berge erklimmen. 1871 wurde die erste Zahnradbahn Europas von Vitznau nach Rigi Kulm eröffnet. 1888 eroberte die Bahn endgültig die Berge. In diesem Jahr wurde die Brünigbahn zwischen Alpnachstad und Brienz als Verbindung zwischen der Zentralschweiz und dem Berner Oberland eröffnet. Innert kurzer Zeit entstanden unzählige Bahnen.

Vom Luxus- zum Massentourismus

1896 begann der ambitiöse Bau einer Bahn auf den Jungfraugipfel, der auf 4158 Metern über Meer liegt. 1912 eröffnete man feierlich den höchstgelegenen Bahnhof Europas auf dem Jungfraujoch. Der Plan, den Gipfel per Bahn zu erklimmen, liess man zur gleichen Zeit fallen. Doch nicht nur Bahnen aller Art hielten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Einzug in die Bergwelt. An besonders aussichtsreichen Lagen schossen Hotels wie Pilze aus dem Boden, um den Heerscharen von Tourist:innen einen unvergesslichen Aufenthalt zu ermöglichen. Der Massentourismus war geboren.

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