logistik, lieferkette
Logistik Supply Chain Management Transport & Logistik

Digitalisierung entlang der Lieferkette

04.11.2021
von Lisa Allemann

Neue Technologien können dabei helfen, die Transparenz in Lieferketten zu erhöhen und schaffen dadurch neue Möglichkeiten. Der digitale Wandel führt gar zur Transformation von Geschäftsmodellen und damit des Supply-Chain-Managements.

Lieferengpässe und -verzögerungen aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse wie der Coronapandemie, der Suezkanal-Blockade durch die «Ever Given» oder Naturkatastrophen kamen in der Vergangenheit vermehrt vor. Um auf Lücken in der Lieferkette rechtzeitig reagieren zu können, ist laut Prof. Dr. Maike Scherrer, Leiterin des Schwerpunktes nachhaltiges Supply Chain Management und Mobilität an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die Realisierung von Transparenz zentral. «Je mehr Transparenz ein Unternehmen über die Verfügbarkeit, den Zustand und die Position seiner Materialen und Produkte hat, umso besser kann es seine Tätigkeiten planen und auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren.» 

Transparente Datenflüsse werden aber durch die ungenügende Informationsverfügbarkeit seitens der Lieferanten gebremst. Gründe dafür seien der Konkurrenzdruck und die Gefahr der Datenpiraterie und des Datenklaus. Erschwerend kommt die hohe Komplexität moderner Lieferketten hinzu. «In der heutigen Zeit sind sämtliche Supply Chains dieser Welt vernetzt, weil mannigfaltige Kunden-Lieferanten-Beziehungen auch zwischen Lieferketten bestehen. Das Risiko eines Lieferausfalls kann über die Verteilung eines Auftrags bei mehreren Lieferanten reduziert werden. Als Konsequenz sind Supply Chains zwischen Unternehmen stark verflochten, weshalb wir nicht mehr von Lieferketten (Supply Chains), sondern Liefernetzwerken (Supply Chain Networks) sprechen», führt Scherrer aus.

Digitalisierung für mehr Transparenz

Abhilfe leisten könnte die Digitalisierung. Die Implementierung neuer Technologien ermöglicht eine automatisierte Informationsgenerierung beispielsweise über Kamerasysteme oder Systeme, die Geräusche erfassen. «In der Nutzungsphase können so digitale Abbilder von Produkten oder Produktionsprozessen respektive dem Einsatz von Produkten erhalten werden. Die so gewonnenen Daten bezüglich der Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Drucks, CO2-Belastung oder des Stromverbrauchs von Anlagen helfen, den Zustand und die Produktion von Maschinen und Anlagen zu überprüfen und bei Bedarf ein Eingreifen zu ermöglichen», erklärt Scherrer. 

Aber auch entlang der Lieferkette kann der Einsatz von RFID-Tags, Long-Range-Netzwerken für die Integration von IoT-Sensoren, Blockchain oder Künstlicher Intelligenz (KI) einen hohen Grad an Zuverlässigkeit in den Daten realisieren. «Die genannten Technologien verhelfen, Transparenz zu schaffen und so Lücken in der Lieferkette frühzeitig zu erkennen. Allerdings sind Unternehmen auch mit den neuen Technologien darauf angewiesen, dass die Lieferanten das Ziel unterstützen und in ihrer Stufe der Supply Chain die Materialien oder Produkte mit Sensoren versehen», so Scherrer.

Wandel der Geschäftsmodelle

Erste Unternehmen führen bereits «Supply Chain Network Cockpits», wo sie grosse Teile der Ketten mit Sensoren abbilden und entsprechend Wissen über die Position von Materialien und Produkten haben. Zusätzlich werden laut Scherrer jedoch auch komplexe mathematische Supply-Chain-Netzwerk-Simulationsmodelle benötigt, anhand derer Störungen in der Kette simuliert und daraus Entscheidungen abgeleitet werden können, beispielsweise an welchen Stellen zusätzliche Lieferanten oder Lager aufgebaut werden müssen.

Die neu gewonnenen Daten führten auch zu einer Anpassung vieler Geschäftsmodelle. «Wir befinden uns in einem Wandel von einer Produkt- zu einer Service-dominierten Welt. Wo früher das Besitztum eines Produktes im Vordergrund stand, ja sogar Status symbolisiert hatte, steht heute der Nutzen für die Kund:innen im Mittelpunkt», erklärt Scherrer. Sie weiss, dass daraus verschiedenste Vorteile resultieren – für das Unternehmen aber auch die entsprechende Kundschaft. «Die neuen Geschäftsmodelle sind ressourcenschonend und gewährleisten die Kreislauffähigkeit besser, weil die Produkte nach der Nutzungsphase zurück zum Hersteller gelangen. Wenn dieser seine unternehmerische Verantwortung in Bezug auf Nachhaltigkeit wahrnimmt, wird er die Produkte nach Ablauf des Produktlebenszyklus zurück in den Kreislauf führen.» Des Weiteren können mit guten Support-Lösungen Kund:innen stärker an das Unternehmen gebunden und letztlich nicht nur ökonomische Aspekte gestärkt werden, sondern auch ökologische.

Risiken einer digitalen Lieferkette

Das grösste Risiko der Digitalisierung ist auch in der Lieferkette die Informationssicherheit. «Wenn die Datenkanäle, die zwischen Kund:innen und Lieferanten bestehen, nicht absolut sicher sind, können findige Betrüger:innen entweder ganze Baupläne an sich reissen und die resultierenden Produkte selbst auf den Markt bringen, oder es können Erpressungsversuche unternommen werden, indem die in falsche Hände geratenen Daten verschlüsselt und nur gegen Zahlung von Lösegeld wieder freigegeben werden. Dies betrifft nicht nur Informationen zu Produkten, sondern kann auch für Finanzströme eine grosse Bedrohung bedeuten, wenn sich fremde Personen in die Systeme einhacken und die Zahlungsströme umleiten», so Scherrer.

Auch wenn Technologien wie Blockchain, IoT und KI in der Theorie viele Vorteile versprechen, sind sie in der Praxis noch nicht lange im Einsatz. Vielfach fehlt das Wissen darüber, wie die Technologien am effizientesten und sichersten eingesetzt werden können und worin ihr Potenzial liegt. Trotzdem rät Scherrer zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den Technologien, für welche zunehmend neue Fachpersonen ausgebildet werden. «Bereits heute leisten insbesondere IoT und KI einen grossen Beitrag zur Erhöhung der Transparenz und Robustheit unserer Supply-Chain-Netzwerke, um die Versorgungssicherheit unserer Region sicherzustellen. Mit jedem Tag werden weitere Erkenntnisse generiert, welche einen Beitrag zu noch vernetzteren und robusteren Supply Chains leisten.»

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel So sieht die Logistik aus, wenn Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten
Nächster Artikel Resilienz – die Supply Chain widerstandsfähig machen