Interview von Kevin Meier

Sandra De Vito Bieri: «Es gibt keine Grenzen zwischen der Anwältin, der Managing Partnerin und der Mutter»

Vor einem Jahr wurde Sandra De Vito Bieri als erste Frau in der Schweiz an die Spitze einer führenden Wirtschaftskanzlei gewählt. Die Managing Partnerin der Bratschi AG sagt, sie unterscheide nicht zwischen den diversen Rollen, die man ihr attestiert, sondern sie sei einfach sich selbst. Im Interview mit «Fokus» spricht sie über die Faszination Anwältin zu sein, eine Anwaltskanzlei zu leiten und die Zukunft ihres Berufes, gerade für Frauen.

Sandra De Vito Bieri, weshalb haben Sie sich für eine Karriere im Rechtsbereich entschieden?

Man kann es einen Unfall oder einen Zufall nennen. Im Gymnasium liebte ich das Theaterspielen: Die Kunst, mittels der Sprache Gefühle auszulösen und die Leute in den Bann zu ziehen. Genauso liebte ich das Schreiben. Für mich war klar, dass ich nach der Matura diese Liebe zum Beruf machen wollte, beispielsweise als Schauspielerin oder Journalistin.

Jus zu studieren war die Idee meines Vaters, da man damals Publizistik in Zürich noch nicht im Hauptfach studieren konnte und ein Studium auswärts finanziell nicht in Frage kam. Also habe ich mit dem Rechtsstudium angefangen und das hat mir sehr gut gefallen.

Nach einem Austauschjahr in Strassburg im Rahmen des Erasmus-Programms habe ich mich dann bei einer Grosskanzlei beworben und als Studentin gearbeitet. Ich wollte wissen, was Anwältinnen so machen. Und ab dem Moment war klar, dass ich in dieser faszinierenden Welt bleiben möchte.

Was mögen Sie am liebsten an Ihrer Arbeit?

Wir sind nahe beim Management unserer Klientschaft. Mein Input muss nicht erst verschiedene Stufen durchlaufen, sondern hat einen direkten Impact. Jede Entscheidung hat eine unmittelbare Auswirkung. Und das gefällt mir.

Der Beruf als Anwältin hat zudem viel mit Vertrauen zu tun – Vertrauen, welches man sich beim Klienten verdienen muss. Dies macht man mittels Kompetenz, Einsatz und Geradlinigkeit. Eine Anwältin ist nicht nur eine Fachperson, die was von der Juristerei versteht. Sie muss auch für Werte einstehen, die in unserer Gesellschaft unabdingbar sind.

Ich für alles verantwortlich – von der IT, über die Finanzen, HR, Marketing, Weiterentwicklung und Aussenauftritt. Sandra De Vito Bieri

Dann ist sie authentisch und nicht bloss eine Dienstleisterin. So gewinnt man Vertrauen. Wenn man diesen Level der Zusammenarbeit erreicht hat, ist unsere Arbeit sehr befriedigend.

Welche Verantwortung trägt Ihre Position als Managing Partnerin?

Auf den Punkt gebracht bin ich dafür verantwortlich, dass alles läuft – von der IT, über die Finanzen, HR, Marketing, Weiterentwicklung und Aussenauftritt. Diese Garantie gebe ich zusammen mit meiner Geschäftsleitung meinen Partnerinnen und Partnern und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jeden Tag ab.

Ich repräsentiere zudem unseren Brand und unsere Denkweise nach aussen: Wofür steht Bratschi? Was sind unsere Werte? Und natürlich gehört es zu meiner Verantwortung, das Unternehmen so zu führen, dass die nächste Generation den Schlüssel eines Tages gerne übernehmen wird.

Nicht zuletzt möchte ich auch aufzeigen, dass es keine Grenzen zwischen der Anwältin, der Managing Partnerin und der Mutter gibt. Ich bin eine Person mit verschiedenen Facetten – das eine gibt es nicht ohne das andere. Man muss sich selbst als «Paket» nehmen und darf das auch von anderen verlangen.

Sandra de Vito Bieri Portrait

Sandra de Vito Bieri
Managing Partnerin der Bratschi AG

Was würden Sie heute als das Highlight Ihrer Karriere bezeichnen?

Die Wahl zur Managing Partnerin. Ich habe davor auf fachlicher Ebene schon viele schöne Erfolge erzielen können und wurde auch schon verschiedentlich ausgezeichnet. Aber als mir letztes Jahr meine rund 50 Partnerinnen und Partner ihr Vertrauen ausgesprochen haben, war das nicht nur ein emotionaler Moment, sondern die Erfüllung eines seit einiger Zeit gehegten Wunsches, ein Unternehmen operativ zu führen.

Und ich stelle fest, dass ich es gerne mache. Es ist auch eine schöne Befriedigung als Frau und Mutter. Meine Karriere ist nicht linear verlaufen, sondern es gab Hochs und Tiefs (schmunzelt). Ohne das Engagement und den Kampf vieler Frauen vor mir wäre diese Wahl nicht möglich gewesen. Ein starker Moment in jeder Hinsicht.

Wie sehen Sie die Rolle und Position der Frauen im Rechtsbereich?

Frauen sind unglaublich gute Anwältinnen. Über Fachwissen müssen wir uns nicht unterhalten, denn das ist die Basis. Und Frauen bringen auch die wichtigsten Softskills mit:  Zuhören, Empathie, Ziel- und Lösungsorientierung sowie die Hartnäckigkeit, dranzubleiben.

Aufgeben ist in unserer Welt keine Option. Ein geordneter Rückzug manchmal ja, aber aufgeben nicht. Und Frauen können sehr beharrlich sein. Das ist gut.

Diese Fähigkeiten spiegeln sich leider nicht in den Positionen wider, die Frauen einnehmen. In den Rechtsabteilungen grosser Unternehmen findet man zunehmend mehr Frauen in hohen Managementpositionen.

Wenn man sich aber die Statistiken von Kanzleien ansieht, sind wir mit fünf bis acht Prozent auf Stufe Partnerin jedoch noch stark untervertreten. Ganz zu schweigen von der Leitung einer Kanzlei. Es ist schwierig, den genauen Grund dafür auszumachen. Meines Erachtens ist klar, dass es heute nicht mehr an den Strukturen der Kanzleien liegt, dass der Frauenanteil in den Partnerschaften immer noch tief ist.

Ich komme immer mehr zum Schluss, dass man aufhören muss, von Work-Life Balance zu sprechen, will man diese Hürde überwinden. Denn der Beruf als Anwältin ist ein 24/7-Job. Und man sollte ihn als Teil von sich selbst verstehen. Man ist immer Anwältin, genauso wie man immer Mutter und immer Frau ist.

Da besteht keine Grenze. Also braucht es auch keine Work-Life Balance, sondern nur die Verwirklichung seiner selbst. Hat man das erkannt, bietet diese Arbeit ein gutes Set-up mit viel Gestaltungsfreiheit, gerade wenn man Kinder hat.

Interview Kevin Meier

2 Antworten zu “Sandra De Vito Bieri: «Es gibt keine Grenzen zwischen der Anwältin, der Managing Partnerin und der Mutter»”

  1. Markus Lörtscher sagt:

    Grossartige Worte einer Frau mit echtem Charisma! Besondere Anerkennung für die Aussage „den Beruf als Teil von sich selbst zu sehen“. Grosse Managerqulitäten bestätigen sich darin, wenn man (frau) es versteht sich selbst perfekt zu managen. „Zwischen herausfordernder Berufstätigkeit, Mutter und Frau zu sein“. So gelingt das!

  2. Sandra De Vito Bieri sagt:

    Lieber Herr Lötscher, genau so ist es. Eine Bedingung gibt es: dass man das tut, worin man gut ist und man dazu steht. Und dies unabhängig davon, was andere gerade sagen oder denken. An sich selbst glauben, auch wenn dies fälschlicherweise als Egoismus abgetan wird. Ich weiss, dass Sie das verstehen.

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25.05.2022
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