herbert p. schons herbert p. schons: mit volldampf hin zum kleinsten gemeinsamen nenner?
Editorial Recht

Herbert P. Schons: Mit Volldampf hin zum kleinsten gemeinsamen Nenner?

26.05.2021
von SMA
Herbert P. Schons Rechtsanwalt & Notar a.D. Vizepräsident Deutscher Anwaltverein

Herbert P. Schons
Rechtsanwalt & Notar a.D. Vizepräsident Deutscher Anwaltverein

Ein Editorial von Herbert P. Schons. 

Als Student verfolgte ich ungläubig, wie ein Tutor vor Kommilitonen von der Bestrafung eines Lehrers im fernen China geradezu schwärmte, der das »Verbrechen« begangen hatte, den Unterrichtsstoff und die damit verbundenen Anforderungen nicht an dem Schwächsten der Klasse zu orientieren. Dies sei Erziehung zum elitären Denken, hieß es damals!

In einer anderen Welt und ein wenig später entstand das Wort vom Fördern und Fordern. Dahinter stand die Idee, dass Leistung sich lohnen müsse und dass es weder die Gesellschaft noch den Einzelnen weiterbringt, wenn man das Mitnehmen »möglichst vieler« durch eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herbeiführen will.

Diese Überlegung, die in den meisten Teilen der Welt durchaus auf Konsens stieß, scheint auf dem Rückzug: So tobt in den USA zurzeit eine Debatte darüber, ob die Mathematik als Wissenschaft nicht abgeschafft werden sollte, da man sie angeblich rassistischer Wurzeln überführen könne. Originalton einer Brittany Marshall: »Die Idee von 2 + 2 = 4 hat kulturelle Gründe als Folge von westlichem Imperialismus / Kolonialisierung halten wir für das einzig Richtige.« Das Bestehen auf einem korrekten Resultat sei nur ein Zeichen »weißer Vorherrschaft«.

Zu dieser Nachricht passt ein mehrseitiger Artikel im Spiegel vom 13.03.2021, der die Überschrift »Nach mir die Sinnflut« trägt und sich mit Meinungen beschäftigt, die das Beharren auf korrekter Rechtsprechung als von vielen als uncool und zopfig empfunden beschreibt.

Steingart kommentierte in einem Morning Briefing vom 03.03.2021 solche Aussagen wie folgt: »So gesehen ist die gesamte Leistungsgesellschaft eine Zumutung sondergleichen. Der nahtlose Übergang vom Kindergarten zum bedingungslosen Grundeinkommen bietet sich an. Dann endlich wären wir alle Menschen gleich, wenn auch nur gleich arm.«

Ein wenig erinnert all dies an die Diskussion, die über die Zukunft der deutschen Anwaltschaft beim Zugang zum Recht und über die notwendige Qualität der Rechtsberatung in jüngster Zeit entbrannt ist.

Die unbestrittene Notwendigkeit, die anwaltliche Berufsordnung zu aktualisieren, das Auftauchen neuer Geschäftsmodelle auf dem Gebiet der Rechtsdienstleistung und schließlich überzogene Verbraucherschutzbestimmungen lassen altgediente Berufsrevolutionäre Morgenluft schnuppern, die das hohe Lied der destruktiven Innovation, »welches der Rücksichtslosigkeit und Achtlosigkeit Beifall spendet« (vgl. Jill Lepore in: Diese Wahrheiten, Beck-Verlag) begeistert singen.

Ein Rechtssystem, um das uns die halbe Welt beneidet, da es – bislang – keine Rechtsdienstleistung unterhalb der Anwaltschaft zulässt und durch gesetzliche Gebühren ein vollständiges Kostenerstattungssystem dem Rechtsuchenden gewährleistet, wird auf den Prüfstand gestellt, ohne die Folgen zu bedenken.

Unter dem Vorwand, Chancengleichheit herzustellen, will man der Anwaltschaft – zunächst eingeschränkt, später wahrscheinlich ohne Grenzen – auch in Deutschland das gestatten, was nicht anwaltliche Rechtsdienstleister über Plattformen für sich in Anspruch nehmen dürfen.

Vertragswidriges Verhalten, wie die Nichtbezahlung von Rechnungen soll nicht weiter bestraft, sondern jedenfalls insoweit toleriert werden, als Inkasso-Dienstleistungen möglichst umsonst erbracht werden sollen.

Letzteres ist nicht graue Zukunft, sondern zum Teil bereits als Gesetz beschlossen und wird zum 01.10.2021 in Kraft treten, weitere Vorschläge lassen Böses ahnen.

Was die Rolle der Anwaltschaft in der Gesellschaft angeht, so scheint man angetreten zu sein, diese auf die nicht anwaltliche Konkurrenz – endlich – als gleiches unter gleichem herunterregulieren zu wollen. Und damit schließt sich der Kreis:

Wer die Mathematik als Wissenschaft abschaffen, die Orthographie auf dem Altar der Bequemlichkeit opfern und Gleichmacherei nach unten als zwingende Notwendigkeit verkaufen will, verabschiedet sich natürlich bereitwillig von allem, was dieses Land und viele andere Länder auch einmal groß gemacht hat. Oder wie es in einem Zitat von Botho Strauß heißt: »In einer von gleichen und sich ausgleichenden beherrschten Gegenwart sind es letztendlich nur ihre Vergangenheit und Überlieferung, worin Länder und Kulturen sich unterscheiden.«

Text Herbert P. Schons

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Immobilien sind das Rückgrat unserer gesamten Wirtschaft
Nächster Artikel Langfristige Änderungen im Arbeitsrecht nach Covid?