Wenn Fahrzeuglenkende zu Passagieren werden
Autos, die ohne das Zutun einer Fahrerin oder eines Fahrers die Spur wechseln, überholen und sich in den Verkehr eingliedern? Was heute noch nach Fiktion klingt, dürfte auf Deutschlands Straßen schon ab dem kommenden Jahr schrittweise zur Realität werden. Dann nämlich verkehren hierzulande die Automobile der »Stufe vier«.
Das Zeitalter der autonomen Fahrzeuge ist angebrochen. Zumindest teilweise: Tesla bietet beispielsweise seit Jahren die Autopilot-Funktion an, die es ermöglicht, kürzere Strecken ohne das Zutun einer Fahrerin oder eines Fahrers zurückzulegen. Dass dies aber noch nicht einer »echten« autonomen individuellen Mobilität entspricht, weiß man auch bei Tesla selber. Dementsprechend ist beim Beschrieb der Fahrzeuge nachzulesen, dass die Fahrzeuge mit der notwendigen Hardware ausgerüstet sind, um »in Zukunft einen autonomen Betrieb unter fast allen Umständen« zu ermöglichen.
Doch was genau versteht man unter »autonomen Verkehr« eigentlich – und wo stehen wir heute diesbezüglich? Grundsätzlich werden damit selbstfahrende Fahrzeuge oder Transportsysteme beschrieben, die sich ohne den Eingriff eines menschlichen Fahrers oder einer menschlichen Fahrerin zielgerichtet fortbewegen können. Sie werden darum auch gerne als Merkmal einer digital vernetzten »Smart City« angeführt. Bereits 2014 definierte SAE International (Society of Automotive Engineers) fünf Entwicklungsstufen, die auf dem Weg zum vollautonomen Fahrzeug zu durchlaufen sind.
Ein bisschen Automation ist weitverbreitet
Zieht man diese Stufen-Einteilung zurate, zeigt sich, dass viele Automobile, die auf den Straßen Deutschlands unterwegs sind, zur Stufe eins gehören – assistiertes Fahren. Denn gemäß ADAC gehört etwa der Tempomat bereits zu dieser Kategorie. Gleiches gilt für Parkhilfen oder den Abstandsregeltempomat, der Fahrzeuge automatisch bremst, je nach Entfernung zum vorausfahrenden Auto oder LKW.
Intelligente Verkehrsleitsysteme sowie Sensoren in der städtischen Infrastruktur sollen durch Datenübermittlung das Verkehren von autonomen Fahrzeugen sicher und nachvollziehbar machen.
Beim »teilautomatisierten Fahren« auf Stufe zwei können sich die Fahrzeuginsassen noch mehr entspannen: Automobile dieses Levels sind unter anderem dazu in der Lage, auf der Autobahn gleichzeitig die Spur zu halten, zu bremsen oder zu beschleunigen. Ein »hochautomatisiertes Auto« (Level drei) wiederum kann bestimmte Fahraufgaben selbstständig und ohne menschlichen Eingriff bewältigen – allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum sowie unter geeigneten, vom Hersteller vorgegebenen Bedingungen. Solche Wagen überholen, bremsen und beschleunigen selbstständig, je nachdem, wie es die Verkehrssituation erfordert. Fahrerinnen und Fahrer dürfen sich auf Level drei kurzfristig von der Verkehrssituation abwenden.
Los geht’s im nächsten Jahr
Richtig interessant wird es auf Stufe vier, nicht zuletzt, da die Bundesregierung im Mai dieses Jahres eine Gesetzesvorlage verabschiedet hat, die solchen Fahrzeugen die Teilnahme im Straßenverkehr ab 2022 erlaubt. Was kommt also im kommenden Jahr auf die Verkehrsteilnehmenden zu? Automobile der vierten Stufe gehören zu den vollautomatisierten Fahrzeugen. Hier werden die Fahrenden zu Passagieren, die schlafen, Zeitung lesen oder auf dem Smartphone tippen dürfen. Denn wie der ADAC festhält, führen in diesem Fall die technischen Systeme sämtliche Fahraufgaben selbstständig durch, was dazu führt, dass der PKW auch längere Strecken ohne Eingriff zurücklegen kann. Dazu gehört etwa das Auffahren auf die Autobahn sowie das Einordnen in den laufenden Verkehr bei hoher Geschwindigkeit. Solche Wagen können selbstständig der Spur folgen, blinken, überholen, bremsen, beschleunigen und die Autobahn schließlich wieder verlassen.
Am Ende einer solchen vollautomatisierten Fahrt übernimmt die Fahrerin oder der Fahrer das Steuer. Ist dies nicht möglich, sind Level-vier-Fahrzeuge in der Lage, selbstständig einen Parkplatz anzusteuern. Auf Stufe fünf sind die Fahrzeuge dann vollkommen autonom unterwegs und den Insassen kommt keine Fahraufgabe mehr zu.
Eher gemächliche Entwicklung
In Deutschland fällt die Vorfreude auf das autonome Fahren noch verhalten aus. Umfragen zeigen, dass nur 45 Prozent der Bevölkerung den neuen Systemen traut. Dennoch bietet dieser Schritt gemäß Fachleuten ein enormes Potenzial: So ist der Großteil der Verkehrsunfälle nach wie vor auf menschliches Versagen zurückzuführen. Die moderne Sensoren-Technologie kann demnach massiv dazu beitragen, die Zahl der Unfälle zu verringern. Zudem bieten selbstfahrende Fahrzeuge ein enormes soziales Potenzial. Zum Beispiel sind sie dazu in der Lage, alte Menschen mit ihren eingeschränkten Mobilitätsmöglichkeiten besser ins Alltagsleben einzubinden.
Allerdings müssen für diesen Wandel auch die technischen Infrastrukturen gegeben sein. Hier sehen Fachleute nicht nur die Automobilbranche in der Verantwortung: Intelligente Verkehrsleitsysteme sowie Sensoren in der städtischen Infrastruktur sollen durch Datenübermittlung das Verkehren von autonomen Fahrzeugen sicher und nachvollziehbar machen. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auch weil sich die technische Transformation gemäß einer Studie des Prognos-Instituts eher langsam vollzieht: So dürften ganz normale Fahrzeuge noch Jahrzehnte neben vollautomatisierten Automobilen unterwegs sein. Immerhin: Im »optimistischen« Fall werde sich der Anteil von Neufahrzeugen, bei denen sich Fahrende komplett von der Fahraufgabe abwenden können, von 2,4 Prozent im Jahr 2020 auf immerhin 70 Prozent im Jahr 2050 steigern.
Es werden nicht „ganz normale Fahrzeuge noch Jahrzehnte…unterwegs sein…“, sondern Menschen mit solchen Fahrzeugen! Können Sie den Unterschied begreifen?