markus lehmann
Finanzen Recht Interview

Markus Lehmann: «Die Welt der Versicherungen ist komplexer geworden»

15.09.2020
von Lars Meier

Markus Lehmann erlebt als Präsident vom Verband Schweizerischer Versicherungsbroker (SIBA) die Schweizer Versicherungslandschaft hautnah. Im Gespräch mit «Fokus» spricht er über Chancen und Herausforderungen des Sektors und verrät zudem, wie ihn seinerzeit seine Leidenschaft als Spitzenhandballer in die Welt der Versicherungen geführt hat.

Herr Markus Lehmann, wie würden Sie die Schweizer Versicherungslandschaft in Ihren eigenen Worten beschreiben?

Die Schweizer Versicherungslandschaft befindet sich gegenwärtig auf alle Fälle in Bewegung. Dies ist zugleich auch ein grosser Unterschied, wenn man die Schweizer Versicherungslandschaft heute mit jener von früher betrachtet. Grund dafür sind gewiss die deregulierten Märkte, die vom Parlament gefordert wurden. Vieles hat sich gewandelt; es kam zu Fusionen und Übernahmen. Ebenfalls sind die meisten Tarife «gefallen» und dadurch sind die Prämien heute vergleichsweise viel günstiger als damals.

Früher war es praktisch ein Kartell im Gegensatz zum heutigen offenen Prämienwettbewerb; ein Auto war zum Beispiel überall nahezu gleich teuer. Aus Konsumentensicht ist dieser Wandel einerseits spannend, bringt andererseits aber auch mehrere Schwierigkeiten mit sich, denn der Vergleich zwischen den vielen Angeboten ist eine echte Herausforderung, wenn man wirklich das Beste für sich will. Auch darf die technologische Veränderung an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: So bieten inzwischen auch die Versicherungen und Broker IT-basierte Kontakte via Internet für die Kunden an, bereits heute «ein Muss» für Unternehmenskunden.

Was hebt die Schweizer Versicherungslandschaft von jenen im Ausland ab? Was sind die grössten Unterschiede?

Ein zentraler Unterschied ist die restriktive Gesetzgebung. So kann man nicht einfach so nach eigenem Belieben in der Schweiz eine Versicherung anbieten. Allgemein kann man festhalten, dass die Schweiz in Bezug auf Versicherungen immer noch eine Art Insel ist. So existieren hierzulande auch Gesetze, die man ausserhalb der Schweiz nirgends so vorfindet, wie zum Beispiel das Unfallversicherungsgesetz.

Allgemein kann man festhalten, dass die Schweiz in Bezug auf Versicherungen immer noch eine Art Insel ist. Markus Lehmann

Wie sind Sie zum ersten Mal mit dem Versicherungsgeschäft in Berührung gekommen?

Als ich zum ersten Mal ein Auto gekauft habe! (lacht) Genauer gesagt eigentlich noch früher, nämlich mit der Krankenkasse. Mein späterer Weg in die Versicherungswelt war dann aber in vielerlei Hinsicht ein spezieller, da ich diesen Beruf nicht von der Pike auf gelernt habe. Konkret bin ich via die Pharmazie in die Welt der Versicherung gekommen, da ich früher noch Spitzenhandballer gewesen bin. Es war so, dass ich für meinen Sport nicht mehr genug unbezahlten Urlaub nehmen konnte. Dann habe ich gemerkt, dass ich etwas ändern muss. So habe ich meinem früheren Metier, der Pharma, den Rücken gekehrt, und bin in die Versicherungswelt eingestiegen. Schliesslich war mir der Sport nach wie vor sehr wichtig. Letzten Endes habe ich dann eine Umschulung (KV) absolviert, und habe bald darauf auch schon in der Welt der Versicherungen zu arbeiten begonnen.

Sie sind bereits seit vielen Jahren erfolgreich in der Versicherungswirtschaft tätig. Wie hat sich diese im Laufe der Zeit gewandelt?

Ein wichtiger Punkt hierfür ist der Wegfall der Tarife. Auch die bereits erwähnte Senkung der Prämien, die im Zuge dessen auch viel attraktiver wurden, sind eine grosse Veränderung. Auch das BVG war im Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen unterworfen, welche die Thematik aber auch komplizierter gemacht haben. Aus Brokersicht stellt dies zugleich eine grosse Herausforderung dar, da bei Kunden vermehrt Unklarheiten aufkommen, die es zu klären gilt.

Allgemein kann man festhalten, dass die Welt der Versicherungen zweifellos viel komplexer geworden ist. Denn der Markt dünnt sich aus, da es nicht mehr so viele verschiedene Versicherer gibt wie früher, als beispielsweise grosse Konzerne alle in etwa das Gleiche angeboten haben. Heute sind es beispielsweise gerade noch einmal fünf, welche im BVG eine Vollversicherung anbieten. Früher waren es noch viel mehr. Nichtsdestotrotz verschwinden gewisse Sparten, da es sich nicht mehr rentiert, ein entsprechendes Angebot zu lancieren – was aus Brokersicht ebenfalls eine Schwierigkeit darstellt.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Veränderungen, die zukünftig auf die Versicherungsbranche zukommen?

Da die Versicherungsbranche zurzeit ein Kostenproblem hat, werden die Kosten hierbei noch grosse Veränderungen nach sich ziehen. Zudem muss man in der Versicherungsbranche im IT-Bereich aufrüsten, denn auch hier stellt sich die Frage: Wieso müssen Versicherungsgesellschaften Millionen für eigene Software ausgeben? Letzten Endes stellt die Schweizer Versicherungslandschaft einen eher kleinen Markt dar, für den es vergleichsweise schwierig ist, international Gehör zu finden.

Die Schweiz ist beispielsweise das Land, welches weltweit den dritthöchsten Pro-Kopf-Betrag an Versicherungsprämien aufweist. Markus Lehmann

Was sind die häufigsten Irrtümer in Bezug auf Versicherungen?

Irrtum ist vielleicht das falsche Wort, aber es ist zu beobachten, dass der Versicherungsgedanke hierzulande zunehmend an Wert verliert. Galt früher noch das Credo «Einer für alle, alle für einen», ist heute vermehrt zu beobachten, dass der Profit im Vordergrund steht und jeder auf sich bedacht ist. In der Schweiz beläuft sich beispielsweise der jährliche Schaden an Versicherungsbetrug auf gegen eine Milliarde – eine Tatsache, die mit mehr Solidarität anders ausfallen könnte.

Ein konkreter Irrtum ist, dass sich alles versichern lässt. Oft kommt die Frage auf, wieso denn etwas nicht versichert sei oder versichert werden kann. Man muss dann jeweils erklären, dass ansonsten beispielsweise der Gedanke aufkommen kann, man würde selbst etwas kaputt machen und dann Geld von der Versicherung verlangen wollen. In der Schweiz ist immer noch die Meinung verbreitet, alles müsse versichert sein. Dies spiegelt sich auch in Zahlen wider: So ist die Schweiz beispielsweise das Land, welches weltweit den dritthöchsten Pro-Kopf-Betrag an Versicherungsprämien aufweist. Man sollte aber nicht so viel wie möglich, sondern nur so viel wie nötig versichern. Dies stellt auch für mich als Broker eine Herausforderung dar, wenn es im Unternehmensgeschäft zu analysieren gilt, auf welche Versicherung ein Kunde tatsächlich angewiesen ist, was existenzbedrohend ist und unbedingt gut abgesichert werden muss.

Nichtsdestotrotz besteht in der Versicherungsbranche auf Kundenseite immer noch hoher Aufklärungsbedarf. Viele Leute verstehen beispielsweise nicht vollständig, was ein Versicherungsbroker genau macht. Auch stösst man oft auf die Meinung, Versicherungsbroker seien Vermögensverwalter – was überhaupt nicht stimmt, genauso wenig wie die Meinung, dass Versicherungsbroker Retrozessionen erhalten würden. Es ist an dieser Stelle auch wichtig zu betonen, dass wir Versicherungsbroker zwar Partner der Versicherungsgesellschaften sind, aber in erster Linie für die Kunden da sind – der Kunde ist unser Auftraggeber – wir sind ganz klar dem Kunden verpflichtet!

Nichtsdestotrotz besteht in der Versicherungsbranche auf Kundenseite immer noch hoher Aufklärungsbedarf. Markus Lehmann

Die Digitalisierung bedingt, dass sich Schweizerinnen und Schweizer vermehrt im Internet über die passende Versicherung informieren. Ist es überhaupt möglich, als Privatperson mittels Internetrecherche die ideale Versicherung zu finden?

Möglich ist es im Grunde genommen schon; das Ganze geht jedoch mit einem enormen Zeitaufwand einher. Denn am Ende des Tages muss man Prämien, Leistungen und so weiter im Detail miteinander vergleichen und es wird so aufwendiger, als man zu Beginn denkt. Wer einen Broker hinzuzieht, muss nur einen Bruchteil der erwähnten Zeit aufwenden. Ein weiterer grosser Vorteil ist, dass der Broker, insbesondere im Unternehmensbereich, zudem rundum die Uhr für Fragen zur Verfügung steht – und aus Erfahrung kann ich bestätigen, dass dies sehr oft der Fall ist.

Welche Aspekte finden Sie am Beruf des Versicherungsbrokers besonders spannend?

Mir gefällt, dass man sich als Versicherungsbroker mit der ganzen Palette an Versicherungen beschäftigt, die es gibt. Auch, dass man eng mit den Kunden zusammenarbeitet und für sie die bestmögliche Lösung zu finden, schätze ich sehr. Der Beruf fordert einen aber ebenso; man muss sich permanent weiterbilden und sich mit allen Produkten und den Eigenheiten der verschiedenen Versicherungsgesellschaften gut auskennen.

Welche Eigenschaften machen einen guten Versicherungsbroker aus?

Der Broker muss top ausgebildet sein und jahrelange Erfahrung in der Assekuranz haben. Vorzugsweise hat eine gute Brokerfirma verschiedene Spezialisten im Team, um allen Anforderungen der Unternehmungen zu entsprechen. Die nahezu permanente Verfügbarkeit habe ich schon erwähnt. Der gute Broker arbeitet transparent und hält alle gesetzlichen Vorschriften ein, wie die kommende Offenlegung der Entlöhnung. Ein gutes Netzwerk ist eine Selbstverständlichkeit für einen guten Broker. Eine hohe Einsatzbereitschaft für die Kunden runden dieses Profil ab, ebenso wie die heute gefragte Affinität zu IT-Lösungen.

Über Markus Lehmann

Markus Lehmann, 1955 in Basel geboren, startete seine Karriere in der Schweizer Versicherungsbranche bei der Winterthur und war später zudem bei Elvia sowie als Inhouse-Broker für Basel-Stadt tätig. Auch in der Politik machte sich der ehemalige Spitzenhandballer einen Namen: So sass er von 1996 bis 2005 und 2009 bis 2013 im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt. 2011/12 war Markus Lehmann Grossratspräsident, von 2011 bis 2015 sass er im Nationalrat und von 2001 bis 2013 war er Präsident der CVP Basel-Stadt. Als Präsident vom Verband Schweizerischer Versicherungsbroker (SIBA) kennt er sich bestens in der Branche aus und gibt sein Wissen an andere weiter.

Interview Lars Gabriel Meier Bild Tobias R. Dürring

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