Veränderungen im Finanzmarkt und der Rechtspraxis
Die digitale Transformation verändert Branchen und Unternehmen nachhaltig – und der Finanzmarkt steckt mittendrin. Das wirft auch neue Rechtsfragen auf. Wie man diese adressiert und wie sich die Arbeit von Anwältinnen und Anwälten verändert, erklären Dr. Jana Essebier und Dr. Markus Guggenbühl, beide Partner bei der Kanzlei Vischer, im Interview.
Jana Essebier, Markus Guggenbühl, die Digitalisierung erfasst alle Branchen und Sektoren. Welche Auswirkungen hat das auf den Finanzmarkt?
Markus Guggenbühl: Die Auswirkungen sind tiefgreifend. Allerdings hat sich diese Entwicklung nicht über Nacht vollzogen. Für uns, die eng mit Klienten aus dem Finanzmarkt zusammenarbeiten, lässt sich dieser Wandel schon seit Längerem verfolgen. Er erfolgte in verschiedenen Phasen, in gewisser Weise bereits mit der Einführung des elektronischen Handels an der Börse in den 90er-Jahren. Mit dem Internet kamen später neue Möglichkeiten zur Kapitalbeschaffung wie das Crowdfunding hinzu und heute reden wir über ICOs und Kryptowährungen. Nicht mehr wegzudenken sind die digitalen Tools auch für die Compliance. Signifikant zugenommen haben sicherlich das Tempo der technologischen Umwälzungen und deren Bandbreite: Heute betrifft die Digitalisierung letztlich alle Player und sämtliche Märkte. Die Kommunikation zwischen Banken und ihren Kunden verändert sich. Das gilt auch für den Austausch mit unseren Mandanten.
Inwiefern verändert sich dadurch Ihre juristische Begleitung von Finanzmarkt-Kunden?
Jana Essebier: Wir spüren die Auswirkungen der Digitalisierung über unser gesamtes Klientenportfolio hinweg. Mandanten wie Banken, Börsen, Handelsplattformen oder Fonds – sprich die «klassischen Player» des Finanzmarktes – sehen sich angesichts der neuen technischen Möglichkeiten mit neuen rechtlichen Fragestellungen konfrontiert. Und diese tragen sie natürlich an uns heran. Meistens geht es im Kern um die Frage: Was darf man mit dieser und jener Technologie tun, und was nicht? Und auf der anderen Seite des Spektrums haben wir die Fintech-Unternehmen, meist kleine und agile Start-Ups, die digitale Innovationen vorantreiben. Diese haben ihre ganz eigenen Bedürfnisse bezüglich Rechtsberatung und -begleitung. Und auch auf diese müssen wir eingehen.
Es lässt sich beobachten, dass die klassischen und neuen Player im Finanzmarkt vermehrt zusammenarbeiten.
Jana Essebier: Das stimmt. Denn kleine Start-Ups können die Welt nicht alleine verändern, egal wie innovativ ihre Ansätze sind. Um im Finanzmarkt bestehen zu können, benötigen sie häufig einen Partner in Form eines Finanzinstituts. Unsere Aufgabe als Juristen besteht nun darin, vorauszudenken, welche rechtlichen Fragestellungen aus diesen veränderten Bedingungen entstehen könnten. Doch auch das ist an sich nicht neu, sondern gehört seit jeher zu den Grundkompetenzen von Anwältinnen und Anwälten. Weil sich die Märkte immer schneller entwickeln als die dazugehörige Rechtsprechung, versucht man quasi immer, die Spielregeln zu definieren, während das Spiel bereits läuft. Wie gesagt ist aber die Geschwindigkeit neu und auch die Regulierungsbestrebungen und -dichte nehmen zu.
Derzeit ist die Kryptowährung «Libra» in aller Munde, hinter der der Techgigant «Facebook» steht. Wie schätzen Sie dies ein?
Markus Guggenbühl: Im Kern geht es bei den Kryptowährungen ja um das Bestreben, mithilfe der sog. Blockchain-Technologie eine dezentrale Währung zu schaffen, die weder an Finanzinstitute noch an Staaten gebunden ist. Nun haben aber gerade Staaten wenig Interesse daran, ihre Währungshoheit abzugeben. Das erschwert einen allfälligen Durchbruch, zumindest in den westlichen Ländern. In einem Schwellenland wiederum, dessen Finanzmarkt weniger etabliert oder stabil ist, könnte sich die digitale Währung vielleicht als Alternative dereinst durchsetzen. Libra ist insofern interessant, als dass sie als erste Kryptowährung die Chance hat, eine breite Masse zu erreichen.
Warum könnte das gerade Libra gelingen?
Jana Essebier: Weil mit «Facebook» ein bedeutender Technologiekonzern dahintersteht. Dieser verfügt über enorme Ressourcen – sowohl in Sachen Daten als auch finanziell. Darum sind wir der Ansicht, dass solche Technologieriesen die digitale Transformation des Finanzmarktes nachhaltig vorantreiben könnten. Da auch diese Unternehmen compliant sein müssen, also den Regularien der jeweiligen Aufsichtsbehörden folgen müssen, ist eine gewisse Sicherheit gewahrt. Dafür müsste es aber gelingen, die internationalen Bestimmungen miteinander zu harmonisieren.
Bisher haben wir primär von Ihren Klienten im Finanzmarkt und deren Digitalisierungsbemühungen gesprochen. Wie aber macht sich die digitale Transformation in Ihrem täglichen Geschäft bemerkbar?
Markus Guggenbühl: Die Digitalisierung wirkt sich sowohl intern wie auch extern aus. Intern geht es vor allem darum, neue Tools zu nutzen und unsere internen Prozesse effizienter und transparenter zu gestalten. Auch die Interaktion mit unseren Klienten findet vermehrt über digitale Kanäle statt. Zudem erreichen immer mehr branchenspezifische Anwendungen wie beispielsweise «Due-Diligence-Softwares» und andere E-Discovery-Tools einen Reifegrad, der ihren Einsatz für uns sinnvoll macht. Hier auf dem neuesten Stand zu sein, erwarten nicht nur unsere Klienten, sondern auch unsere Mitarbeiter. Darüber hinaus nutzen wir Search-Tools oder Übersetzungsprogramme und testen derzeit Möglichkeiten, um Vertragsvorlagen digital aufzubereiten und Registrierungsprozesse schnell und unkompliziert abwickeln zu können. Extern wiederum stehen neuere Anwendungen wie bspw. E-Billing oder Plattformen zum Teilen und Bearbeiten von Dokumenten mit Mandanten im Fokus. Und natürlich haben wir immer ein Auge auf die aktuellen Entwicklungen im Bereich «Legaltech».
Was darf man darunter verstehen?
Jana Essebier: Gemeint sind digitale Anwendungen, mit denen sich juristische Dienstleistungen erbringen lassen. Das ist ein spannendes und dynamisches Feld, das für die Branche, aber auch weit darüber hinaus, durchaus transformativen Charakter hat. Ein Beispiel dafür sind etwa «Forderungsplattformen». Dort können Personen direkt ihre Legal-Anfragen platzieren. Wenn bspw. ein Flug gestrichen wird, melden dann nicht mehr wie bisher nur zwei betroffene Passagiere ihren Rechtsanspruch an, sondern vielleicht 100. Dies, weil Legaltech den Prozess extrem vereinfacht und beschleunigt. Für die davon betroffenen Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie mit dieser Forderungsflut umgehen. Die Praxis zeigt dabei, dass es erheblich einfacher ist, das Erheben von Ansprüchen als die Abwehr von Forderungen zu automatisieren. Diese digitalen Tools werden das Recht nicht neu erfinden – aber sie werden die Art und Weise verändern, wie Menschen zu ihrem Recht kommen.
Zu den Personen
Dr. Markus Guggenbühl, LL.M., ist Partner und leitet das Banking & Finance Team von Vischer. Er berät vornehmlich schweizerische und ausländische Banken, Finanzdienstleister und international tätige Unternehmen. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Finanzierungsgeschäfte, Kapitalmarkttransaktionen sowie Fragen der Finanzmarktregulierung. Er ist ein vom Regulatory Board der SIX Swiss Exchange anerkannter sachkundiger Emittentenvertreter. Daneben verfügt Markus Guggenbühl über langjährige Erfahrung bei Unternehmensübernahmen (Mergers & Acquisitions), Restrukturierungen und im Bankeninsolvenzrecht.
Dr. Jana Essebier ist schwerpunktmässig im Finanzmarktrecht tätig. Sie berät regelmässig in- und ausländische Finanzmarktteilnehmer in den Bereichen des Regulierungsrechts und Insolvenzrechts sowie bei Rechtsstreitigkeiten. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Bereich von Fintech-Innovationen, wie Crowdfunding, Mobile Payment und Blockchain, sowie in der rechtlichen Beratung von Start-ups. Darüber hinaus berät sie sowohl Finanzmarktteilnehmer als auch Investoren im Bereich von Derivaten, strukturierten Produkten und sonstigen Finanzinstrumenten. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit publiziert und referiert Jana Essebier regelmässig zu aktuellen regulatorischen Fragestellungen. Im Nebenamt ist sie Dozentin für Bank- und Kapitalmarktrecht bei EXPERTsuisse.
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