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Deutschland Transport & Logistik

Wie menschlich ist die Lieferkette?

26.08.2021
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Das Ziel des Lieferkettengesetzes ist klar: Die Wahrung der Menschenrechte ist bitte auch ein unverrückbarer Wert der Wirtschaft. Also sollen Unternehmen bewusst hinschauen, wer entlang der internationalen Lieferketten zu welchen Bedingungen für ein Produkt oder eine Dienstleistung arbeitet.

Am 25. Juni 2021 hat der Bundesrat das Lieferkettengesetz gebilligt und mit dem erweiterten Titel Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz versehen. Ziel ist es, den Schutz der Menschenrechte zu verbessern, um Kinder- und Zwangsarbeit unmöglich zu machen. Auch Unternehmen in Deutschland müssen ab sofort dafür sorgen, dass innerhalb ihrer internationalen Lieferketten die Menschenrechte eingehalten werden. 

Zunächst sind noch Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden vom Gesetz betroffen, ab 2024 dann auch Firmen mit 1000 Mitarbeitenden. Ausdrücklich eingeschlossen sind Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen, Tochterunternehmen im Ausland gelten zudem als Teil des deutschen Geschäftsbetriebs und nicht etwa als Zulieferer.

Zulieferer sollen kontrolliert werden

Neben dem eigenen Geschäftsbereich sollen in weiteren Stufen unmittelbare und mittelbare Zulieferer unter die Lupe genommen werden. Auch spezielle Geschäftsmodelle oder Umweltbelange können eine erhebliche Rolle spielen, wenn sie bewusst Niedriglöhne einsetzen oder die Gesundheit der Mitarbeitenden schädigen. Auf einem Infoblatt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung heißt es: »Mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überprüft eine etablierte Behörde die Einhaltung des Gesetzes. Sie kontrolliert die Unternehmensberichte, geht eingereichten Beschwerden nach und verhängt im Notfall auch Sanktionen.«

Was aber sind die Sanktionen, wenn Verstöße gegen die Menschenrechte festgestellt werden? Das Gesetz schaffe keine neuen zivilrechtlichen Haftungsregelungen, heißt es seitens des Bundesministeriums. Es gelte vielmehr, »weiterhin die zivilrechtliche Haftung nach deutschem und ausländischem Recht«. Auch Geschäftsbeziehungen müssten nicht abgebrochen werden, vielmehr wolle man mithilfe des Gesetzes in Zusammenarbeit mit den Unternehmen Verbesserungen beim Menschenrechtsschutz in Zulieferbetrieben verankern. Andererseits seien aber doch Bußgelder, etwa in Höhe von 0,2 Prozent des Jahresumsatzes, oder auch ein bis zu drei Jahre lang geltender Ausschluss von der öffentlichen Beschaffung möglich.

Zwischen Begeisterung und Ablehnung

Die internationale Entwicklungshilfeorganisation Oxfam begrüßt das Gesetz ausdrücklich. und verweist in dem Zusammenhang gerne auf die deutschen Supermarktketten, die laut Juristin Dr. Franziska Humbert, längst Menschenrechte »können«. Bei den Unternehmen hält sich die Begeisterung jedoch in Grenzen. Wer beispielsweise viele unterschiedliche Lieferanten habe, könne eine Überprüfung auf der zweiten Stufe der Lieferkette kaum wirklich leisten. Schon vor Jahren haben viele Unternehmen deshalb eigene Verpflichtungserklärungen oder Wertekodexe verfasst, um ihre Partnerfirmen an die Einhaltung der Menschenrechte zu erinnern. Dazu, so der einhellige Tenor, brauchte es kein Gesetz. 

Dass die Politik mit dem Lieferkettengesetz ihre Verantwortung an die Unternehmen abschieben wolle, bekräftigte Klaus Josef Lutz, der neue Präsident der IHK für München und Oberbayern, Anfang Juli im Münchner Presseclub. Missstände in der Welt abzustellen, sei aber nicht Aufgabe der Wirtschaft. Das Abwälzen der Probleme auf die Wirtschaft sei im Gegenteil naiv und zeuge nur von einer zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Unternehmen. Zahlreiche Verbände und Organisationen unterstrichen ihre Kritik kurz vor dem Gesetzesbeschluss denn auch in ganzseitigen Zeitungsanzeigen. Der Staat werde »primär zum Überwacher der hiesigen Unternehmen, anstatt sie bei der Aufdeckung und Beseitigung von Missständen durch Diplomatie und politische Maßnahmen zu unterstützen.«

Braucht jedes Unternehmen einen Menschenrechtsbeauftragten?

Bleibt die Frage: Braucht jedes Unternehmen nun einen Menschenrechtsbeauftragten? Schaut man genauer hinter die Kulissen vieler Firmen, kommt man auf die Idee, dass die oder der oftmals längst da ist. Im Grunde fordert das Lieferkettengesetz ein Bewusstsein, das in den meisten Personalabteilungen, also den »Spezialabteilungen für die Vermittlung zwischen Menschen und Aufgaben«, bereits vorhanden ist. Wenn im HR-Bereich immer vehementer auf Diversität, Gleichstellung und Persönlichkeit gepocht wird, teilweise sogar zum Unwillen der obersten Etagen, ist dies automatisch die ideale Voraussetzung, um soziale und humanitäre Verantwortung auch in die entlegensten Winkel des Unternehmens, also auch in die Partnerunternehmen und Zulieferer, zu tragen. 

Wer in den letzten Jahren die Richtlinien vieler großer, global tätiger Unternehmen studiert hat, weiß, dass Anti-Diskriminierungsprogramme mehr als Lippenbekenntnisse sind. Es ist sehr wohl möglich, dass allein schon die Personalpolitik der großen Player, die mit einer gewissen Verzögerung fast immer von mittleren und kleineren Unternehmen übernommen wird, mehr für die Menschenrechte tut als es das Lieferkettengesetz je tun können wird. Wer mit einer hohen Übereinstimmung zu den Werten seines Unternehmens seiner Arbeit nachgeht, wird Werte wie Fairness und Gerechtigkeit tagtäglich leben wollen. Und da kein Unternehmen mehr ein »Closed Shop« ist, werden den Mitarbeitenden bei noch so weit entfernten Kolleg:innen Schwachpunkte oder auch Menschenrechtsverstöße schneller auffallen als man – oder der Gesetzgeber – womöglich denkt.

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